Runder See 2016: Lauras Eindrücke

von Laura Eras


Nachdem ich vor sechs Jahren im Rahmen meines Freiwilligendienstes in Minsk schon einmal am Runden See gewesen war und es mir damals so gut gefallen hatte, dass ich seitdem geplant hatte, irgendwann mal wieder an diesem inklusiven Zeltlager teilzunehmen, klappte dies dieses Jahr endlich. So traf ich Anfang August vollbepackt mit Campingausrüstung in Minsk ein, um zusammen mit etwa einem Dutzend weiterer Freiwilliger an den Runden See zu fahren. Wie in den letzten Jahren auch schon fand der Runde See auf einem idyllisch gelegenen Waldstück an einem sauberen See in der Nähe von Logojsk (nordöstlich von Minsk) statt. Auf diesem konnte man im Laufe der nächsten 18 Tage Schwanenkindern beim Größerwerden zuschauen, Krebse beobachten und ab und zu einen Storch über den See fliegen sehen.


In den ersten fünf Tagen bauten wir Freiwilligen das Sommerlager auf: Aus den Materialien, die in einer Minsker Garage überwintert hatten, entstanden dabei eine Küche, in der über einer offenen Feuerstellen jeden Tag drei Mahlzeiten gekocht wurden, eine Toilette, eine Banja, die auch als Dusche diente, ein Speisesaal und vieles mehr – alles behindertengerecht natürlich. Auch wurden mehrere Zelte für TeilnehmerInnen aufgebaut, die ohne eigenes Zelt anreisen würden.


In dieser Zeit hatte ich, wie auch beim Abbau, recht viel Freizeit – schließlich, so die dominante Meinung im Freiwilligenkollektiv, handelte es sich bei diesen Tätigkeiten hauptsächlich um Männertätigkeiten. Diese klar geschlechtertypische Aufgabenverteilung befremdete mich etwas, aber ich fand mich mit ihr auch ohne größere Einwände ab (im Gegensatz jedenfalls zu 2010, wo ich auch beim Löchergraben und Brettertragen bedeutend mehr geholfen hatte). So empfand ich das zumindest, denn ich wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass ich nicht so schwer tragen solle und bestimmte Tätigkeiten lieber den männlichen Freiwilligen überlassen solle. Meine leichte Irritation führte immer wieder zu sehr interessanten Gesprächen über Geschlechterrollen, Feminismus und Gleichberechtigung.


Nach etwa fünf Tagen Aufbauarbeiten kamen schließlich die ca. dreißig TeilnehmerInnen an. Sie stammten aus ganz Belarus, waren zwischen Anfang zwanzig und Mitte dreißig Jahre alt und hatten teilweise Behinderungen. Das zehntägige Programm beinhaltete zahlreiche Kennenlern- und Gruppenspiele, inhaltlichen Input zum Thema „Sozialisation“ – diesem Thema war das Zeltlager in diesem Jahr gewidmet –, Diskussionen zu Themen wie Inklusion und Behinderung, Banjabesuche und zahlreiche überwältigende Lagerfeuer. Gegen Ende des Sommerlagers wurden die TeilnehmerInnen für ein mehrtägiges Rollenspiel in kleine Gruppen – passend zum Thema in Familien – eingeteilt, die zusammen eine Gesellschaft bilden sollten. Dazu gehörte, dass ein Ältestenrat eine Verfassung vorschlagen sollte, die im Plenum diskutiert und verabschiedet wurde, oder dass die verschiedenen Familien begannen, Geschäfte aufzubauen. Etwa durch den Verkauf von Blaubeeren, die im Wald in großen Mengen wuchsen, oder der Vermietung eines besonders bequemen Stuhls, den eine Teilnehmerin dabeihatte, versuchten die TeilnehmerInnen Geld zu verdienen.


Am eigentlichen Programm nahm ich selbst nur am Rande teil. Allerdings genoss ich den Austausch mit den TeilnehmerInnen etwa abends am Lagerfeuer sehr, denn den Eindruck, dass der Runde See besondere Leute anzieht, hatte ich auch dieses Jahr wieder. Stattdessen war ich als Freiwillige während des Sommerlagers hauptsächlich in der Küche beschäftigt, insbesondere beim Gemüseschneiden und Kartoffelschälen, wo meistens sehr gute Laune herrschte. In der Freiwilligengruppe, die bis auf Jakob, dem momentanen ASF-Freiwilligen, und mir aus BelarussInnen bestand, fühlte ich mich insgesamt von Anfang an sehr wohl. Viel Geduld zeigte die Gruppe mit meinen Russischkenntnissen und insbesondere meine Küchenkolleginnen machten sich auch immer wieder die Mühe, mir Wortwitze, die ich nicht verstanden hatte, zu erklären.


Sehr schade fand ich, dass vergleichsweise viele Personen in diesem Jahr den Runden See vorzeitig verließen. Während zwei Personen, die krank wurden, das Sommerlager aus gut verständlichen Gründen verließen, so lag es bei anderen wohl daran, dass sie sich relativ wenig verpflichtet fühlten, tatsächlich am gesamten Programm teilzunehmen und nicht aufgrund einer möglicherweise besseren Alternative, den Sommer zu verbringen, schon früher abzureisen. Besonders traurig fand ich, dass auch TeilnehmerInnen frühzeitig gingen, bei denen der Eindruck bestand, dass sie selbst noch gerne geblieben wären. So wurden drei längst volljährige TeilnehmerInnen von ihren Eltern abgeholt, wohl weil denen selbst der Termin besser passte als der, an dem das Lager eigentlich enden sollte, oder weil sie sich Sorgen um ihre Kinder machten, die ohne elterliche Obhut zum Zelten in den Wald gefahren waren. Der Eindruck, dass die Personen nicht als selbstbestimmte Persönlichkeiten behandelt wurden, drängte sich hier geradezu auf.


Nachdem die Teilnehmer abgefahren waren, dauerte der Abbau noch zwei weitere Tage. Mit dem Geruch des Lagerfeuers und ziemlich melancholisch verließen wir schließlich den Wald. Ich bin sehr froh, dass ich dieses Jahr wieder an den Runden See gefahren bin. Für mich war das Sommerlager mindestens so schön wie das im Jahr 2009 und ich habe mir wieder vorgenommen, irgendwann – und hoffentlich früher als in sechs Jahren – wieder an den Runden See zu fahren.


Unterstützt durch die Robert-Vogel-Stiftung.