2008 – 2009: Fachkräfte-Austausch „Andere Arbeitsweisen“

Intensive und vielseitige Einblicke in die deutsche Behindertenarbeit und neue Perspektiven für die Arbeit in Belarus standen im Mittelpunkt des ersten Teils des Austauschprogramms „Andere Arbeitsweisen“ (2008), das vom „Kontaktprogramm Belarus“ der „Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO)“ gefördert wurde. Im Rahmen des Projekts hospitierten zehn belarussische Fachleute in verschiedenen Einrichtungen der Behindertenarbeit in und um Bremen.

Der zweite Teil des Fachkräfteaustauschs „Andere Arbeitsweisen“, ebenso gefördert vom „Kontaktprogramm Belarus“, führte 2009 Fachkräfte aus dem Raum Bremen nach Belarus. Auch hierbei ging es um das Kennenlernen der Arbeitsweisen diesmal in Belarus und die Reflexion der eigenen Arbeit mit Menschen mit Behinderungen. Besucht wurden Projekte und Einrichtungen sowohl für Menschen mit Behinderung, die in staatlichen Heimen leben, als auch für Menschen, die mehr oder weniger selbstständig außerhalb der Heime leben. Auf dem Programm standen staatliche Strukturen und zivilgesellschaftliche Initiativen. Eine Pressemitteilung zum Austausch mit dem ursprünglichen Programm finden Sie hier.

Nicht nur waren die Erfahrungen, die die Teilnehmer*innen bei den Austauschen machten, prägend für ihre weitere Arbeit, auch wurden Kontakte unter den Teilnehmer*innen geknüpft, die bis heute anhalten. Es wurden seitdem gemeinsame Deutsch-Belarusische Projekte von einigen Teilnehmer*innen durchgeführt und die geknüpften Kontakte genutzt, um sich weiterhin über die eigene Arbeit auszutauschen. Kanikuli fungiert hierbei stellenweise weiterhin als Mittler.

Arbeit in den Heimen für Menschen mit Behinderungen in Minsk

Etwa 20.000 Menschen mit Behinderungen und mit „dauerhaften“ psychischen Erkrankungen leben in Belarus in staatlichen Heimen. Diese Heime sind oftmals große Einrichtungen mit bis zu 600 Bewohner*innen. Heime für Kinder sind mit bis zu 200 Kindern kleiner, je älter die Menschen werden desto größer werden die Einrichtungen. Die Struktur der Heime ist eher mit Krankenhäusern, denn mit Wohneinrichtungen vergleichbar. Menschen leben in festen Stationen, es gibt große Schlafsäle mit wenig bis keiner Privatsphäre.

Die Betreuungssituation in diesen Heimen ist unzureichend. Unausgebildete Pflegekräfte kümmern sich um Körperpflege, Nahrungsgabe und soziale Betreuung. Daneben müssen sie sich aber auch um die Organisation des Stationsablaufes und um Putzen, Kochen und Waschen kümmern. Sie sind oft stark unterbesetzt und arbeiten in aufreibenden 24-Stunden-Schichten. Pädagog*innen und Psycholog*innen gibt es wenige. Insgesamt verschlechtert sich die Betreuungslage für einen Menschen mit Behinderung, je älter er oder sie wird. Der Betreuungsschlüssel wird geringer und damit auch das Maß an Angeboten zur Beschäftigung und Förderung.

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Belarus hat im Jahr 2015 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet und 2016 auch ratifiziert. Seitdem gibt es von staatlicher Seite die Absichtserklärung die großen staatlichen Einrichtungen zu schließen. So werden beispielsweise in einigen Heimen Stationen eingerichtet, in denen Menschen weitestgehend selbstständig leben und ihren Alltag organisieren. Dabei befinden sie sich aber weiterhin auf dem Gelände der Heime und nehmen weiterhin nicht am Leben der Gesellschaft teil. Menschen mit Behinderung verlieren in Belarus mit Eintritt in ein Heim ihre Geschäfts- und Handlungsfähigkeit. Zur Ausübung eines Berufs und zum eigenständigen Leben ist diese jedoch unabdingbar. Laut staatlichem Beschluss müssen die Heime geeigneten Menschen ihre Geschäfts- und Handlungsfähigkeit wiedergeben. Da es jedoch an Maßnahmen zur Reintegration sowie geeignetem Wohnraum fehlt, passiert dieses nur selten.

Seit den neunziger Jahren arbeiten deutsche und belarussische Freiwillige in verschiedenen staatlichen Heimen für Kinder und erwachsene Menschen mit Behinderung in Minsk und unterstützen die Bewohner*innen in ihrem Alltag. Hierbei ist die Arbeit sehr vielfältig und erstreckt sich von Spazierengehen, Spielen und Fördern über Hilfe bei pflegerischen Tätigkeiten und Erledigen von Besorgungen bis hin zur Planung und Durchführung von Ausflügen, Projekten in den Heimen und Ferienfreizeiten.

Kanikuli e.V. verfolgt seit mehr als 10 Jahren die Veränderungen in den Heimen. Wir stellen fest, dass sich vieles getan hat. Es gibt, insbesondere in den Heimen für Kinder mit Behinderungen, mehr Personal und auch mehr materielle Ressourcen. Vielfach fehlt dabei weiterhin ein grundsätzlicher menschenwürdiger Umgang. Zwang, Einschränkungen der Selbstbestimmung und Vernachlässigung sind weiterhin Alltag in den Heimen. Aus diesem Grund unterstützen wir nicht die Heime finanziell, sondern führen Projekte durch, die direkt den Menschen aus den Heimen oder auch den Angestellten, die sie betreuen und damit indirekt auch wieder den Bewohner*innen zugute kommen.
Darüber hinaus unterstützen wir deutsche Freiwillige in ihrer Arbeit durch Betreuung und Supervision im Rahmen unseres Mentoring-Programms. Durch die Schaffung einer Kanikuli-Freiwilligen-Stelle, auf die sich belarussische Engagierte bewerben können,versuchen wir die Arbeit lokaler und damit nachhaltiger zu gestalten.

Allgemeines über Kanikuli

Kanikuli e.V. (russisch: Ferien) ist ein gemeinnütziger Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat Menschen mit Behinderungen zu fördern und zu unterstützen,  sowie zu ihrer Inklusion in die belarussische Gesellschaft beizutragen.

Der Verein wurde 2006 von jungen Menschen gegründet, die in Belarus einen Freiwilligendienst geleistet hatten und ist seitdem auf über 70 Mitglieder (Stand 09/2019) in Belarus und Deutschland  angewachsen.

Seit Vereinsgründung war ein Schwerpunkt unserer Aktivität die Planung und Durchführung von Ferienfreizeiten für Kinder und Erwachsene mit Behinderungen aus staatlichen Heimen in der belarussischen Hauptstadt Minsk. Durch die Freizeiten soll ihnen zum einen eine Abwechslung zu ihrem Heimalltag geboten werden, zum anderen sollen sie während der Freizeiten auch in Kontakt mit der belarussischen Bevölkerung kommen, sich in Selbstständigkeit üben und von physiotherapeutischer Begleitung der Freizeiten gesundheitlich profitieren.

Darüber hinaus hat sich unser Engagement in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt hin zu Projekten, die verstärkt die Integration von Menschen mit Behinderung in die belarussische Gesellschaft sowie bestehende und wachsende Strukturen vor Ort fördern sollen. So unterstützte und begleitete  Kanikuli e.V. den Aufbau von Selbsthilfeorganisationen, beispielsweise für Eltern mit Behinderungen, organisierte einen Fachkräfteaustausch mit Projektbesuchen unserer belarussischen Partner*innen in Deutschland und förderte Kunst- und Theaterprojekte vor Ort. Um die Freiwilligenarbeit zu stärken begleiten wir seit einigen Jahren die Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im Rahmen eines Mentoring-Programms und haben seit 2017 auch belarussische Kanikuli-Freiwillige vor Ort.

Für alle unsere Projekte arbeiten wir eng mit deutschen und belarussischen Kooperationspartnern zusammen. Dazu gehören nicht-staatliche sowie staatliche Organisationen, Freiwillige und ehrenamtlich engagierte.

Kanikuli e.V. finanziert seine Arbeit ausschließlich durch Spenden. Neben den Zuweisungen durch größere Organisationen sind wir vor allem auf Privatspenden angewiesen.

Die durchgeführten Projekte wurden finanziell ermöglicht von:

http://www.robert-vogel-stiftung.de

2008 – 2010: Behindertenwerkstatt

Die „Werkstatt“, die unsere langjährige Projektpartnerin Darija Jaskevich von 2008 bis 2010 im Minsker Heim Novinki für erwachsene Menschen mit Behinderung betrieb, war das bis dahin ambitionierteste Projekt, die Lebenssituation der Menschen im Heim zu verbessern.

In der Behindertenwerkstatt im „Novinki“-Heim für Erwachsene galt das Prinzip der Eigenständigkeit. Die Psychologin Darija Jaskevich verteilte Materialien, gute Tipps und Aufgaben, hielt sich aber sonst zurück und ließ viel künstlerische Freiheit. Darüber hinaus fanden viele anregende Gespräche unter den Teilnehmer*innen, Gymnastikübungen, spontanes Tanzen und ein Nähkurs statt. Zu besonderen Anlässen wurden kleine Partys mit bis zu 50 Leuten durchgeführt.

Ziele des Vereins

Der Verein Kanikuli e.V. verfolgt unter anderem folgende Ziele für seine Projekte:

  • Förderung von Inklusion und gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Behinderung in der belarussischen Gesellschaft.

  • Sensibilisierung innerhalb der deutschen und belarussischen Gesellschaft für die Lebensverhältnisse von Menschen mit Behinderung.

  • Abbau von Vorurteilen gegenüber Menschen mit Behinderung, Schaffung von Räumen für Austausch und Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen

  • Förderung individueller Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung sowie Empowerement zu Selbstbestimmtheit

  • Förderung der Begegnung von belarussischen und deutschen Freiwilligen.

Ferienfreizeit Runder See

Ferienfreizeit Runder See

Drei Wochen im Wald zelten, ohne sanitäre Anlagen, ohne fließend Wasser, ohne ein festes Dach überm Kopf – ein Erfolgsrezept für eine integrative Ferienfreizeit? Was erst mal unbequem klingt, kann die jungen Teilnehmer:innen des Sommerlagers in Minsk nicht abschrecken. Im Gegenteil – seit vielen Jahren ist dieses Ferienlager, an dem junge Leute mit und ohne körperliche Behinderungen aus Belarus, Deutschland und anderen Ländern teilnehmen, ein voller Erfolg.
Seit 2008 wirkt Kanikuli e.V. bei dem Zeltlager mit, welches von unserer Partnerorganisation in Belarus veranstaltet wird.

Lesen Sie die Berichte:

→ über den Runden See 2021 (von Vera, Trainerin)
→ über den Runden See 2020 
→ über den Runden See 2019 von Sveta (Teilnehmerin)
→ über den Der Runde See 2018 – ein ausführlicher Erfahrungsbericht
→ über den Runden See 2018 von Flora Fuchs
→ über den Runden See 2017 von Valeria Nikolachik
→ über die Neuanschaffung von Materialen dank großzügiger Finanzierung durch die Robert-Vogel-Stiftung
→über den Runden See 2016 von Nadia aus Belarus und von Laura aus Deutschland. О впечатлении Нади можно и читать на Русском языке.
über das Lager im Sommer 2015
→ über den Runden See 2013 von Johanna Kerber (Teilnehmerin)
Eindrücke zweier Teilnehmer am Krugloe Osero 2012
→ über den Runden See 2011 von Ruben Werchan (Teilnehmer)
→ über den Runden See 2010 von Marie-France Eisner und Laura Eras (Minsk-Freiwillige 2009/2010)
→ über den Runden See 2009 von Hans-Ulrich Probst (Minsk-Freiwilliger 2008/2009) über ganz besondere drei Wochen im Wald.

 

Der Runde See 2022 wird von der Stiftung Nord-Süd-Brücken finanziell unterstützt.

Die Projekte wurden mit finanzieller Unterstützung von JugendHilft (Children for a better World e.V.)
durchgeführt.

Eindrücke aus den letzten Jahren.

Der Vorstand

Emily Bertheau
Erste Vorsitzende
war 2018/19 Minskfreiwillige in Novinki und bei Belapdi

Lisa Hohmeier
Kassenwärtin
war 2017/18 Minskfreiwillige in der Geschichtswerkstatt, bei der Internationalen gesellschaftlichen Vereinigung „Verständigung“ und im Kinderkrankenhaus Barawljani

Marlene Westecker
Zweite Vorsitzende
war 2018/19 Minskfreiwillige in der Geschichtswerkstatt, bei der Internationalen gesellschaftlichen Vereinigung „Verständigung“ und im Kinderkrankenhaus Barawljani

2011 – 2014: Postkarten

Um die Ergebnisse unserer gemeinsamen, langjährigen Arbeit mit der Psychologin Darija Jaskevich in anschaulicher Form präsentieren zu können, entwickelten wir gemeinsam die Idee einige Motive auf Postkarten zu drucken. Gedruckt wurden zwei Tranchen. Die erste, präsentierte auf sechs Motiven die Arbeit von Kanikuli e.V. bei den Ferienfreizeiten. Die zweite Tranche zeigt einige der Werke, die in der von Darija geleiteten Kunstwerksatt im Heim in Novinki entstanden.

Von den Karten sind nach wie vor einige erhältlich. Sie eignen sich hervorragend als Gruß- und Glückwunschkarten für alle Anlässe. Auf Nachfrage und gegen eine kleine (oder große) Spende schicken wir gern Karten zu. Am besten einfach eine Mail an info[at]kanikuli-ev.de schicken.