Runder See 2023

Erfahrungsbericht einer Teilnehmerin:

Ich erzähle hier von meinen Erfahrungen als Teilnehmerin am “Runden See” im August 2023. Vielleicht fällt es auch Dir dann leichter, zu entscheiden, ob Du Dich bewerben willst. Los geht’s!

Meine Erwartungen waren ziemlich uneindeutig. Das Konzept des “Runden Sees” war sehr anziehend, aber gegenüber dem Inhalt hielten sich einige Zweifel. “Wird das Programm nicht zu gezwungen und seicht sein?” – das waren die Gedanken einer Person, die an freiwillig-obligatorische und oft völlig miserable Veranstaltungen im Stil der Schulen und Universitäten gewöhnt ist. 

Zu meinem Glück verloren sich alle meine negativen Befürchtungen am zweiten Tag, als der didaktische Teil des Programms in vollem Umfang begann. Die Methoden (so werden am “Runden See” die in sich logisch abgeschlossenen Programmteile genannt, die jeweils das Format eines Spiels haben) können eine Gruppe Erwachsener über Stunden hinweg beschäftigen und ausgiebig erschöpfen. So etwas habe ich noch nie erlebt! Mitunter hatte man wirklich das Gefühl, dass vom Ergebnis der Teilnahme an der einen oder anderen Methode buchstäblich Dein (und nicht nur Dein) Leben abhängt. Das Geschehen lässt sich ohne Übertreibung als eine einigermaßen harte Gesellschaftssimulation bezeichnen, allerdings mit einem wichtigen Unterschied zur Realität: 

  • Wenn Sie behindert sind, kann es gut sein, dass Sie sich selten zuvor so sehr vollständig in die Prozesse um sie herum eingebunden gefühlt haben
  • Wenn Sie im herkömmlichen Sinne “gesund” sind, dann haben Sie aller Wahrscheinlichkeit nach noch nie zuvor mit so vielen behinderten Menschen auf Augenhöhe zu tun gehabt wie hier

Manche schwer zu verdauenden und von Zeit zu Zeit wirklich provokante Situationen bringen einen im Verlauf der Methoden dazu, den eigenen Kopf einzuschalten und über Dinge nachzudenken, denen man zuvor wenig Beachtung geschenkt hat. Wie kann ich meinen Gedanken so formulieren, damit er mit Sicherheit verstanden wird? Wie gehe ich mit einer Konfliktsituation um, damit sie sich möglichst nicht in eine unkontrollierbare Richtung weiterentwickelt? Woran wird entschieden, wer welche Verantwortung in der Gruppe übernimmt?
Das Thema dieses Jahres war “Teambuilding”, dementsprechend waren die Fragen gestellt. 

Derart lebt man dieses Leben vor sich hin und merkt dabei gar nicht, wie viel Wertvolles man für die Entwicklung der eigenen Soft Skills mitnimmt. Wäre ich Personalleiter, würde die Zeile im Lebenslauf über die Teilnahme am “Runden See” bei mir viel zählen! Dabei betreffen diese Fähigkeiten nicht nur die Interaktion mit Menschen mit Behinderung. Mit den Teilnehmer:innen ohne Behinderung gab es bisweilen auch mehr Schwierigkeiten. Ärger, Missverständnisse, die Unfähigkeit, seine Positionen konstruktiv auszutauschen, einfach Abneigung, Uneinigkeit – all das betrifft uns Menschen, alle und immer. Es lohnt sich dabei nicht, auf Akademismus zu warten. Einfach Lebenserfahrung, einfach Hardcore. 

Für mich persönlich war es sehr hilfreich, die Erfahrung zu sammeln, in einer Situation Teamleader zu sein. In letzter Zeit hat mir das Leben einige Signale gegeben, dass mir die Leitung verschiedener Arbeitsprozesse ziemlich liegt. Daher habe ich vieles, was in diesen 10 Tagen passiert ist, intuitiv aus der Position einer Teamleaderin betrachtet. Das war sehr wertvoll. 

Die Gedankengänge und Handlungsabläufe eines Haufens von mir kaum bekannten Menschen zu koordinieren, die immer wieder verschiedene Gruppen bildeten – das war eine heftige Übung!

Ein weiterer kleiner Punkt, der mich beunruhigt hatte, war die Gruppe der Menschen, die sich am “Runden See” trafen. Ich hatte keine große Lust auf Besäufnisse oder die Gesellschaft von Menschen, die sich mit anderen für meinen Geschmack mittelprächtigen Betätigungen beschäftigten. Aber auch hier verschwanden die Sorgen bereits am ersten Tag, am Tag des Kennenlernens. Selbstverständlich, auch in dieser Gruppe werden Leute darunter sein, die sich nicht mögen – darunter auch Menschen mit Behinderungen (egal wie unangemessen es scheint, das zu sagen!). Aber so funktioniert es auch insgesamt in der Gesellschaft, also sollte man sich darüber nicht wundern und sich auch keine falschen Illusionen machen. Auf jeden Fall allerdings wird sich die Mehrheit als superinteressante Persönlichkeiten herausstellen, die alle Deine gesamte 10-tägige Aufmerksamkeit verdienen. Es werden komplett unterschiedliche Menschen sein, mit ihren ganz eigenen unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Weltanschauungen. Und genau darin liegt der Punkt. 

Die Bedingungen, unter denen es während der Freizeit zu “überleben” gilt, heizen die Atmosphäre ein wenig auf. Man kann sie nicht wirklich als wild bezeichnen, aber sie sind auch weit entfernt von Komfort. Kurz gesagt, ist der “Runde See” ein hervorragender Nährboden für alles Angenehme und Unangenehme, was in einem  Menschen steckt und was sich im Alltag vielleicht nicht zeigt.
Tiefgründige und bisweilen sehr mutige Themen für Gespräche und Debatten kommen zu Tage: Geschlechterfragen, Religion, Feminismus, der Rahmen der modernen Familie, das Problem, eine Lebensaufgabe zu finden und so weiter. In Wirklichkeit ist alles viel weniger trocken und viel weniger politisch korrekt, ehrlich. Manche Unterhaltungen entstehen im Laufe der Methoden, andere durch die Teilnehmer:innen selbst in der Freizeit. Von Freizeit übrigens sollte man nicht zu viel träumen! Es lohnt sich wirklich nicht, den Rucksack mit Büchern vollzupacken, dafür wird keine Zeit sein und/oder keine Lust bestehen. Auch Daueronline kann man vergessen: Dafür wird weder der Akku, noch die eigene Kraft reichen.

Und jetzt, vielleicht das Wichtigste. Der “Runde See” ist ein Ort für einfache und komplexe menschliche Gefühle. Ein kleiner Kosmos mit eigenen Gesetzen, in dem die Alltagssorgen dauerhaft außen vor bleiben. Sich der Atmosphäre der Zusammenarbeit hinzugeben; aufrichtige Freude für sich selbst und andere zu empfinden; traurig sein, wenn man beim abendlichen Zusammensitzen am Lagerfeuer keine Gesellschaft findet; durch einen unbedachten Witz verletzt werden; zufälligen Körperkontakt genießen; eine Portion Zärtlichkeit und Fürsorge erhalten, wenn Dir an einem kalten Tag ein Pullover angeboten wird oder Dir geholfen wird, einen Spreißel aus dem Finger zu entfernen; sich wichtig fühlen; bei der Rückfahrt nach Hause mit Kopfhörern in den Ohren in Melancholie zu versinken, weil Du genau diesen Menschen lange nicht sehen wirst… All das und viele viele Dinge mehr, die sich mit Worten schwer auch nur annähernd beschreiben lassen. 

Zusammenfassung:

Was: Zeltlager, informelles Bildungsseminar, oder einfach eine völlig verrückte Mischung aller möglichen menschlichen Kontakte am Ufer des Flusses Kargavshina (und nicht etwa eines runden Sees, wie man vielleicht meinen könnte) mit etwa 50 Personen, darunter Freiwillige und Trainer

Worum es geht: Das Hauptthema jedes “Runden Sees” ist unterschiedlich. In meinem Fall war es Teambuilding. Dass etwa die Hälfte der Teilnehmer:innen gesundheitliche Besonderheiten oder Behinderungen hat, trägt zur Außergewöhnlichkeit bei.

Wozu: Um eine Woge der Begeisterung zu erfahren; um keine Verlegenheit mehr zu empfinden im Umgang mit Menschen mit Behinderung; um zu empfinden, was es bedeutet, inklusiv zu denken; um die Durchdachtheit der gesamten Organisation zu genießen; um zu lernen, die Stärken und Schwächen von Menschen objektiv zu erkennen, ohne sie als Überlegenheit oder Unzulänglichkeit abzustempeln; um die ganze Palette der Gefühle in zwischenmenschlichen Beziehungen zu durchleben

Für wen passt es nicht: Wer nicht bereit ist, sich in kaltem Seewasser zu waschen, morgens Haferbrei zu essen, intensiven sozialen Kontakt mindestens 10 Stunden täglich zu haben, offensichtliche Verstöße einiger Teilnehmer:innen gegen die eigenen Hygienestandards auszuhalten und nach einem vorgegebenen Zeitplan zu leben oder wer die Bedeutung warmer und wetterfester Kleidung und Schuhe sowie von Campinghockern nicht anerkennen kann.

Was ist ein gutes Auslandsprojekt? – Seminar der Stiftung Nord-Süd-Brücken

Vom 23. – 24. Juni fand ein Workshop der Stiftung Nord-Süd-Brücken zum Thema „Auslandsprojekte: Partnerschaft & Projektplanung“ in Halle statt. Die Stiftung finanzierte im letzten, wie auch in diesem Jahr den Großteil des integrativen Zeltlagers „Runder See“. Jasmin und Marlene nutzten die Chance, um praktische Tipps und theoretisches Hintergrundwissen für die Antragstellung eines Auslandsprojektes sowie für die Projektplanung zu sammeln. Hilfreich war auch der Erfahrungsaustausch mit anderen Vereinen und Organisationen. So war es eine bunte Gruppe an Teilnehmenden, die verschiedene Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten planen. Von Umwelt- und Gewässerschutz über Bildung, nachhaltige Stromversorgung bis hin zu Bauprojekten waren verschiedenste Vorhaben vertreten. Im Rahmen des Seminars gab es außerdem die Möglichkeit unsere Ansprechpartner*innen der Nord-Süd-Brücke besser kennenzulernen und über zukünftige Zusammenarbeit zu sprechen. Alles in allem also ein intensives, erfolgreiches und inspirierendes Wochenende, für das wir uns herzlich bei den Nord-Süd-Brücken bedanken möchten.

Runder See 2022

Die Minsker Nachrichtenagentur veröffentlichte einen Artikel zum Runden See 2022, welchen wir aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt haben.
Originalartikel: https://minsknews.by/kak-lager-krugloe-ozero-rushit-soczialnye-barery-i-pomogaet-raskryt-potenczial-lyudyam-s-invalidnostyu/

Wie das Zeltlager Runder See soziale Barrieren abbaut und Menschen mit Behinderungen hilft, ihr Potenzial zu entdecken

Das Sommer-Integrationslager „Runder See“ bringt ganz unterschiedliche Menschen zusammen, damit sie sich sowohl geistig als auch körperlich im Rahmen des Zeltlagers erproben können. Einzelheiten finden Sie in dem Artikel des Korrespondenten der Minsker Nachrichtenagentur.

Der Schwerpunkt des Zeltlagers liegt auf dem Zusammenhalt und der gegenseitigen Unterstützung. Diese sind eine Basis für ihre Teilnehmer:innen. An dem Projekt können Menschen zwischen 18 und 35 Jahren mit und ohne körperliche Behinderungen teilnehmen.

Eine Teilnehmerin ist vor kurzem aus dem Camp zurückgekehrt und hat sich bereit erklärt, uns mehr über den Runden See zu erzählen.

– Wie viele Menschen wurden diesmal im Zeltlager aufgenommen?

– Insgesamt sind etwa 50 Personen im Camp untergebracht, darunter Freiwillige und Trainer:innen.

– Wofür waren die Freiwilligen und Trainer:innen zuständig?

– Die Trainer:innen gaben Aufgaben (Methoden) vor, die wir durchführten – es lag in ihrer Verantwortung, das Bildungsprogramm durchzuführen. Die Freiwilligen waren für die Zubereitung der Mahlzeiten und für unseren allgemeines Wohlbefinden zuständig.

– Wie haben Sie die Freizeit der Teilnehmer:innen des Runden Sees 2022 organisiert?

– Fast die gesamte Zeit wurde für das Bildungsprogramm genutzt. Aber manchmal konnten wir ein Lagerfeuer machen, an dem wir uns unterhalten, spielen und uns einfach aufwärmen konnten. Tagsüber, in der freien Stunde nach dem Frühstück oder Mittagessen, konnten wir uns entspannen, uns frei auf dem Gelände bewegen, auf dem Steg sitzen oder im See schwimmen.

– Bei welchen Aktivitäten haben Sie die meisten Erfahrungen gesammelt?

– Ich denke, es waren die Herausforderungen, die mit körperlicher Aktivität und Risiko verbunden waren, wenn man rennen, springen oder etwas Schweres tragen musste. Beeindruckt war ich auch von den Methoden, die eine aktive Zusammenarbeit innerhalb des Teams vorsahen. Für einige Aufgaben haben wir praktisch den ganzen Tag gebraucht.

– Wie wurden die Aufgaben der Teilnehmer:innen während des Programms verteilt?

– Wenn eine Methode erklärt wurde, machten die Teilnehmer:innen sofort Vorschläge, wer sie „steuern“ würde. Die anderen vertrauten voll und ganz darauf, dass ihre Teamkolleg:innen ihnen sagten, wie sie vorgehen sollten, und dass sie das Team führen würden.

Laut Angelina wachten die Teilnehmer:innen um 8:00 Uhr auf, frühstückten, hatten eine Stunde freie Zeit und begannen dann mit dem Bildungsprogramm, das um 22:00 Uhr endete. Zu den Pausen gehörten Mittagessen, Abendessen, Freizeit und eine „Abendparty“ mit Teamauftritten mit Liedern, Tänzen, Gedichten, Stand-Up und anderer Unterhaltung. Für die allgemeine Abendunterhaltung wurden ein Thema und ein Format festgelegt. Nach einem gemütlichen Beisammensein am Lagerfeuer gingen die Teilnehmer:innen schlafen.

– Wie kommt man ins Camp?

– Man muss ein Online-Formular ausfüllen. Dann wird man von den Organisator:innen kontaktiert.

– Wurde die Verpflegung von den Veranstalter:innen organisiert oder brachten die Teilnehmer:innen des Runden Sees etwas zu essen mit?

– Freiwillige bereiteten dreimal am Tag Essen für uns zu, das sehr lecker war.

Was die Wasserversorgung angeht, so erklärte Angelina, dass man zwar duschen könne, aber nur mit Seewasser. Im Camp gab es auch eine Campingsauna.

– Was waren Ihre Eindrücke, als Sie nach Hause zurückkehrten?

– Totales psychologisches Reset. Es war, als wäre ich in einem Film über eine kleine Welt mit der Natur, einer Gruppe von Menschen mit ihren Geschichten und einer aktiven Kommunikation zwischen allen. Das Gefühl, ein ganzes Leben in 10 Tage packen und leben zu können. Ich habe im Camp so viele verschiedene Emotionen erlebt, dass ich immer noch dabei bin, alles zu verdauen, was passiert ist. Nirgendwo habe ich so viele Sterne, so magische Sonnenauf- und -untergänge gesehen wie dort. Ich habe gelernt, dass der Höckerschwan ein ziemlich aggressiver Vogel ist und kneifen kann, wenn er sich bedroht fühlt.

– Glauben Sie, dass es den Teilnehmer:innen gelungen ist, ihre Erfahrungen untereinander auszutauschen?

– Ja, natürlich. Durch Kommunikation teilen die Menschen ihre Erfahrungen auf die eine oder andere Weise. Dabei spielt es keine Rolle, ob eine Person eine Behinderung hat oder nicht. Ziel des Projekts ist es, den Teilnehmer:innen zu helfen, sowohl ihre eigenen psychologischen Barrieren als auch die Barrieren zu überwinden, die im Alltag zwischen Menschen mit und ohne Behinderung bestehen. Außerdem die Schaffung von Bedingungen für eine offene und möglichst freie Kommunikation zwischen ihnen.

– Haben Sie auf dieser Reise etwas gelernt, war sie nützlich?

– Sie teilte mein Leben buchstäblich in ein Vorher und ein Nachher. Ich habe einige unglaublich interessante Menschen kennengelernt und viel über mich und die Welt gelernt. Ich wurde entspannter, offener, entschlossener und mutiger. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, lange Zeit im Freien zu sein. Ich habe erlebt, wie es ist, im Wald zu leben und jeden Tag in kaltem Wasser zu baden. Ich lernte, dass es verschiedene Eigenheiten bei Menschen gibt, und erkannte, dass es möglich ist, mit allem fertig zu werden und das Leben in vollen Zügen zu genießen.

Runder See 2020

Erfahrungsbericht von Marina Ivanova*

Die zehn Tage, die ich im integrativen Zeltlager „Runder See“ verbracht habe, haben meine Weltsicht und mein Bewusstsein stark verändert. Ich fange damit an, dass ich von der Freizeit völlig zufällig erfahren habe – ich habe in einem Telegram-Kanal eine Anzeige gesehen, dass nach Teilnehmer*innen gesucht wird. Diese Anzeige hat mich sehr interessiert, aber bevor ich die Anmeldung ausfüllte, entschied ich, mehr darüber in Erfahrung zu bringen. Mich hat sehr gefreut, dass das Zeltlager seit 1999 stattfindet. Außerdem erfuhr ich, dass das Seminarprogramm sehr intensiv ist und es keine Zeit zum Ausspannen gibt. Das heißt, wenn du Lust auf vielfältige, kreative und ungewöhnliche Aufgaben und Methoden hast, dann solltest du teilnehmen. Die Themen der Veranstaltungen werden Personen sehr nutzen, die lernen möchten, erfolgreich mit anderen zu interagieren. Hier erfährst du, was gewaltfreie Kommunikation ist und was es bedeutet, sich Ziele zu setzen, du verstehst, warum es wichtig ist, dich aktiv zu positionieren, lernst effektive Teambildung und erlebst Verantwortung und Achtsamkeit.

Wenn du bis hierhin gelesen und das Gefühl hast hast, dass das in deinem Leben fehlt und dass du dazu bereit bist, hier einzutauchen, dann habe ich ein paar Tips, wie du dir die Zeit im Zeltlager möglichst angenehm machst (wenn du zum ersten mal in ein Zeltlager fährst, dann wird das sehr nützlich sein):

  1. Einen Platz im Zelt, Schlafsack und Isomatte stellen dir die Organisator*innen, aber wenn du irgendwas davon besitzt, empfehle ich dir, es mitzubringen – im Wald ist kein Schlafsack und keine Isomatte zu viel (nach genau zwei Nächten haben meine Nachbarin und ich noch zwei zusätzliche Schlafsäcke genommen, weil es im Wald nachts sehr kalt ist) 🙂
  2. Falls du denkst, dass es eine dumme Idee ist, im Sommer warme Socken einzupacken, dann mach es nicht wie ich und nimm mehrere Paare mit – du wirst es nicht bereuen. 🙂 Und anstatt weiterer Shorts nimm lieber einen warmen Pullover mit.
  3. Stelle dir außerdem eine verantwortungsbewusste Hausapotheke zusammen. Statt Creme gegen Sonnenbrand nimm lieber ein Halsspray und Nasentropfen mit. Wenn du, wie ich, im normalen Leben Pulver wie „Teraflu“ mit Verachtung behandelst, so rate ich dir für das Zeltlager trotzdem, solche Hilfsmittel einzupacken. Bei Halsschmerzen kann man mit dem Tee gurgeln, den es immer zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen gibt.

Übrigens, was das Essen angeht: Wenn du nicht wählerisch bist, dann wirst du ganz sicher nicht hungrig bleiben. Das Essen im Zeltager ist lecker, es gibt viel und manchmal sehr ungewöhnliche Gerichte. Außerdem werden Vegetarier*innen berücksichtigt, du brauchst dir also keine Sorgen machen, wenn du kein Fleisch isst.

Seelisch solltest du dich darauf vorbereiten, dass du sehr wenig freie Zeit zur Verfügung haben wirst. Aber wenn du eine Lerche bist, dann kannst du ein vor dem Frühstück ein paar Stunden abzweigen und wenn du eine Eule bist, dann nach dem Abendprogramm.

Ich bin beispielsweise zwischen 6 und 6.30 aufgewacht (egal, wann ich abends schlafen gegangen bin). Die freien Stunden habe ich dazu genutzt, über die Blaubeeren herzufallen, die direkt nebenan wachsen (wahrscheinlich sind es die besten Blaubeeren auf der Welt :)). Wenn du kein Blaubeerfan bist, dann kannst du morgens Gymnastik machen, duschen (solange es an der Dusche noch keine Warteschlange gibt) oder auf dem Steg meditieren. Und abends kannst du am Lagerfeuer sitzen, zur Gitarre Lieder singen, Spiele spielen oder über spannende Themen diskutieren.

Abschließend möchte ich sagen, dass dies psychologisch und intellektuell die aktivste Zeit meines Lebens war. Ich habe die komplette Bandbreite an Emotionen erlebt – von Empörung bis hin zu hemmungsloser Freude und Euphorie. Das einzigartige Bildungsprogramm hat alle meine Denkmuster erschüttert und ich habe täglich neue Einblicke erhalten. Diese Erfahrung war unglaublich und ich möchte sie wiederholen und die Veränderungen in mir festigen, die ich dort erfahren habe. Diese ungewöhnliche Ferienfreizeit erweitert die Komfortzone jeder Person, der nicht alles egal ist.

Außerdem bin ich dafür dankbar, dass ich wunderbare und inspirierende Menschen kennengelernt habe. Das Zeltlager „Runder See“ ist ein Ort für Menschen, die nach persönlichem Wachstum und innerem Wandel streben.



„Das Camp gibt einen Schub für Aktivität und Entwicklung.“
Was der „Runde See“ ist und warum es sich für Menschen mit Behinderung lohnt dorthin zu gehen

Hier ist der Link zum russischen Originalartikel

Datum: Donnerstag, 24. September, Verfasserin: Alexandra Kamko

Im Sommer für zehn Tage in den Wald zu gehen, um sich von der Routine abzulenken  und die eigenen vier Wände zu verlassen, ist eine gute Gelegenheit, welche die Organisation „Raznye-Ravnye“ („Verschiedene-Gleiche“) Menschen mit Behinderung bietet. Aber das ist lange nicht alles, was das Zeltlager und Integrations-Seminar „Runder See“ im Sommer zu bieten hat: neben Erholung und fröhlicher Gesellschaft durchlaufen die Teilnehmenden ein Bildungsprogramm, lernen in verschiedenen Situationen miteinander zu interagieren und andere zu akzeptieren, wie sie sind, ohne Konventionen und soziale Vorbehalte.

Die Hauptaufgabe ist es seine Komfortzone zu verlassen

Der „Runde See“ kann sicher als eine kleine Waldgemeinde bezeichnet werden, die nach ihren eigenen Gesetzen und Regeln lebt. Im Wald angelangt, wo vor der Ankunft der Teilnehmenden die Zelte, ausgestattet mit Küche, Speisesaal und improvisierter „Banja“ (Dampfbad), aufgestellt werden ist es schwer vorstellbar, dass es irgendwo außerhalb der Grenzen eine Zivilisation gibt. Das Camp „Runder See“ ist eine separate kleine Welt in der es schwierig ist, mit seiner Weltanschauung anzukommen und sie im Verlauf der folgenden zehn Tage nie zu hinterfragen und anzuzweifeln: Während der Workshops und im freien Umgang mit Menschen, mit denen einen vor ein paar Tagen absolut nichts verband, veranlasst einen etwas, bestimmte Aspekte des Lebens zu reflektieren und zu überdenken.

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Im Allgemeinen besteht eines der Hauptziele des „Runden Sees“ darin, Menschen mit Behinderung mehr Raum für Interaktion und Kommunikation zu geben, die Komfortzone etwas zu erweitern und einige Grenzen der Wahrnehmung zu überprüfen.
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Jede*r sollte Bewusstsein lernen, die Verteidigung seines Standpunkts, die Freiheit der eigenen Entscheidung. Und das Camp bietet diese Möglichkeit nicht nur aufgrund des engen Zusammenwirkens in einem großen Personenkreis, sondern auch unterstützt durch ein Bildungsprogramm.

Das Hauptthema des „Runden Sees 2020“ war die Annahme einer aktiven Haltung. Oft sind Menschen mit Behinderungen damit konfrontiert, dass die Wahl einer passiven Lebensweise unnötige Bewegungen erspart und die Entscheidungsfindung insgesamt erleichtert, da sie von anderen akzeptiert werden. Dann stellt sich die Frage der Verantwortung und der Bereitschaft, diese zu übernehmen. Das Format des „Runden Sees“ umfasst nicht nur die Bereitstellung des theoretischen Inputs: im Wald werden spontane Situationen geschaffen, in denen wir mit Ängsten und Komplexen konfrontiert werden und uns in Achtsamkeit üben.

Lebenserfahrung „Wald“

Zehn Tage lang durchlaufen die Teilnehmenden verschiedene Methoden, die auf die Bewältigung von Barrieren und Ängsten ausgerichtet sind. Das Bildungsprogramm „Runder See“ ist in beide Richtungen orientiert: Es zielt auf die soziale Anpassung von Menschen mit Behinderung und die Entwicklung von Empathie bei Menschen ohne Beeinträchtigungen ab. Vladimir Grabenets, Camp-Trainer und einer der Ersteller des Programms, sagt, dass die Methoden für alle Teilnehmenden des Camps nützlich sind: „Das Bildungsprogramm ist für beide Seiten konzipiert – sowohl für Menschen mit Beeinträchtigung als auch für diejenigen, die keine Beeinträchtigung haben.

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Menschen mit Beeinträchtigung sammeln die Erfahrung, in einer neutralen Umgebung mit verschiedenen Menschen zu in Kontakt zu treten, ihre Komfortzone zu verlassen und sich an Aktivitäten zu beteiligen.
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Die Teilnehmenden des Camps ohne Beeinträchtigung, sammeln Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigung und lernen, sich in gewissen Situationen anders zu verhalten. Schließlich fangen sie an zu fühlen, dass Menschen mit Beeinträchtigung von Natur aus gleich sind wie sie – und hier werden Stereotypen zerstört, die Grenzen der Wahrnehmung verschwimmen leicht.“

Im Allgemeinen ist es interessant, wie viel von den beim „Runden See“ gewonnen Erfahrungen in das wirkliche Leben integriert werden kann. Natürlich entstehen beim Durchlaufen der Methode kapselartige und übertrieben Bedingungen. Zum Beispiel wurden die Teilnehmenden in Teams eingeteilt, strenge Regeln aufgestellt, zeitliche Einschränkungen gegeben.

„Es scheint mir, dass jene zehn Tage, die wir im Wald verbracht haben und welche in den aktiven Bildungsprozess involviert sind, eine Art Input sind. Wir säen in den Köpfen der Teilnehmenden sozusagen „Samenkörner“ und im Anschluss des Projekts wird es die Aufgabe von jeder*m sein, etwas in uns selbst zu entwickeln, oder eben nicht“, sagt Vladimir.

„Mit diesen Gefühlen kann man lernen zu leben“

Der auffälligste Aspekt des „Runden Sees“ ist das Verschwimmen sozialer Barrieren. Die enge Interaktion von absolut verschiedenen Personen führt dazu, dass die Merkmale in einem bestimmten Moment nicht mehr wahrnehmbar sind.

Tamara Voronko fuhr zum ersten Mal zum Sommerlager der Organisation „Raznye-Ravnye“. Und eines der Ziele der Reise war der Kontakt mit Menschen mit Behinderung: „Ich wollte eine andere Seite von mir entdecken, mich der Interaktion mit Menschen, die mir nicht ähnlich sind, stellen. Generell denke ich, dass der „Runde See“ für diejenigen, die keine Beeinträchtigungen haben, weitaus nützlicher ist: man lernt zu erkennen und wahrzunehmen. In einigen Situationen haben wir bestimmte Gefühle erlebt, und mit diesen Empfindungen kann man lernen zu leben. Du bist dir selbst begegnet und das nächste Mal wirst du wissen, wie du unter diesen oder jenen Umständen reagieren kannst.“


Im Rahmen des Seminarcamps sprechen wir über die Hindernisse, die die Interaktion junger Menschen mit und ohne Beeinträchtigung erschweren, überprüfen für uns die Arbeit der informellen Bildung, enthüllen die Geheimnisse der Teamarbeit und der effektiven Kommunikation.

Wir verstehen, wie passives Verhalten die Lebensqualität eines Menschen beeinflusst und warum es wichtig ist, aktiv zu sein.  Das Bildungsprogramm des Camps „Runder See“ beinhaltet Gruppentrainings, Diskussionen, Rollenspiele, Simulationen, Forumtheater und vieles mehr.

Im Camp „Runder See“ kann man lernen:

  • Menschen so zu akzeptieren, wie Sie sind, Vorurteile und Konventionen zu vermeiden
  • Das Potential jeder Person während der Teamarbeit zu maximieren
  • Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen seiner Handlungen zu erkennen
  • Konfliktsituationen zu lösen, indem man sie in eine neue nützliche Erfahrung verwandelt
  • Seine Meinung zu äußern und offen die Initiative zu ergreifen
  • Seine Freizeit selbst zu organisieren

Menschen mit Behinderung beim „Runden See“ fühlen sich entspannt, weil sich im Laufe der Jahre nicht nur eine eigene Gruppe, sondern auch ein angenehmes Mikroklima gebildet hat.

Alexander Klevez fährt seit 2012 ins Sommerlager, mit zwei Pausen. Alexander sagt, dass jede Reise zum „Runden See“ eine neue Erfahrung bietet – manchmal gut, manchmal schlecht – die es im Allgemeinen ermöglicht, sich in verschiedene Richtungen zu entwickeln und persönlich zu wachsen: „Natürlich, ich gehe ins Lager, um neuen Leuten zu begegnen, aber das war nur eine Art Ausgangspunkt für weitere Erkenntnisse. Der erste „Runde See“ gibt Impulse für Aktivität und Entwicklung. Nach meiner ersten Reise im Jahr 2012 verbrachte ich einen ereignisreichen Sommer. Wir sind in die Ukraine gefahren, dann nach Ungarn. Wir begannen verschiedenen Seminare und Treffen zu besuchen. Ich selbst spürte, wie schnell ich begann meine Komfortzone zu verlassen.“

P. S. Bei der Fahrt ins Lager „Runder See“ geht es um soziale Anpassung und Kontakt ohne Konventionen. Weiter gefasst geht es um die Bewältigung von Ängsten, die in verschiedenen Lebensphasen auftreten, und dabei nicht immer um Behinderung. Das zehntägige Sommerlager bietet die wirklich seltene Gelegenheit, vertrauter Umgebung und Umfeld zu entfliehen, um sich vom Gedankengut zu abstrahieren, das nicht immer gerechtfertigt ist, aber in der Alltagsperspektive relevant scheint.

Das Projekt wurde ermöglicht durch unzählige kleine und große Spenden, sowie eine finanziellen Förderung durch die Robert-Vogel-Stiftung.

*Name geändert