Von Nina Nadig
Am Sonntag, dem 12. August machten wir uns endlich auf den Weg. Voll bepackt trafen wir drei deutschen Freiwilligen: Johanna, Dominika und ich im Internat für Kinder mit Behinderungen in Novinki ein. Dort warteten bereits 12 aufgeregte und ungeduldige Kindern auf uns. Schon das ganze Jahr über hatten sie gefragt wann es endlich los gehe und waren vor lauter Vorfreude ganz unruhig. Jetzt waren sie alle bereit. Saßen auf der Bank, oder in ihren Rollstühlen und warteten auf die zwei Kleinbusse, die uns in das Ferien- und Erholungszentrum Nadezhda bringen sollten. In diesem Jahr waren 10 Kinder von der Kleinkinderstation und zwei von der Mädchenstation dabei. Jedes Kind hat während des Sommerlagers seinen eigenen Betreuer. Das ist der wichtigste und wertvollste Teil an dem Sommerlager. So viel Zuwendung und Aufmerksamkeit bekommen die Kinder im Internat nicht.
Im Bus wurde gesungen und jedes Pferd auf den Weiden bestaunt. Endlich angekommen wurden wir erst einmal auf die Häuser aufgeteilt. Immer 2 bis 3 Kinder mit Betreuer kamen zusammen in ein kleines Haus mit Küche und Bad. In diesem würden sie die nächste Woche zusammen wohnen und all die kleinen Aufgaben des Alltags bewältigen vom verschlafenen Aufstehen und Anziehen bis zum Duschen, Zähneputzen und ins Bett bringen. Die Mahlzeiten nahmen wir alle gemeinsam in einem Essenssaal ein.
Das Gelände um die Schlaf- und Aufenthaltshäuser herum ist sehr groß und mit vielen Spielplätzen ausgestatten. Dieses wurde während der Woche ausgiebig erkundigt und jedes Spielgerät wurde ausprobiert und immer wieder neu entdeckt.
Mein Kind war Lena, ein 13 jähriges Mädchen, dass im Rollstuhl sitzt, jedoch sehr fit und gescheit ist. Sie schafft viele Dinge ohne Hilfe zum Beispiel auf die Toilette zu gehen oder sich anzuziehen. Diese Unabhängigkeiten sind ihr auch sehr wichtig. Am liebsten ging Lena raus und schaute anderen Kindern, die ebenfalls als Gruppe in Nadezhda waren, beim Spielen zu. Es war spannend für sie zu sehen was es noch für Kinder gab, diese anzusprechen und zu erfahren wo sie herkamen.
[bild4] Leider hatten wir während der Woche im Sommerlager sehr schlechtes Wetter. Jeden Tag regnete es, sobald es einmal trocken war gingen wir sofort raus und spielten auf dem Spielplatz oder spazierten zum nahegelegen See. Am Montag hatte Lena Geburtstag. Mit allen gemeinsam wurden Torten aus Kuchenböden, Konservenfrüchten und gezuckerter Kondensmilch gemacht. Das war ein süßes Vergnügen für die Kinder.
Bedauerlicherweise erkrankte Dominika am zweiten Tag des Sommerlagers. Sie bekam eine Angina und musste in dem Krankenflügel in Quarantäne gehen. Dort blieb sie bis zu unserer Abreise liegen. Daraufhin kümmerten Johanna und ich uns um Igor, Dominikas Kind. Es war sehr anstrengend für uns nun zu zweit drei Kinder zu haben, zumal alle drei unserer Kinder sehr aufgeweckt waren und ihren eigenen Willen durchsetzen wollten. Auch eine belarussische Freiwillige wurde krank aber ihre Mutter konnte glücklicherweise für sie einspringen und sich um ihr Kind kümmern.
Trotz des Regens und der Krankheitsfälle haben wir uns gut vergnügt. Am Abend gab es Disko oder ein Konzert von Kindern gegeben. An einem anderen Tag haben wir gemeinsam T-Shirts im Pavillon im Wald bemalt. Die Farbe landete jedoch nicht nur auf den T-Shirts. In jenen Momenten, wo die Sonne raus kam malten wir mit Kreide auf der Straße, Kegelten um die Wette oder machten einen Rollstuhlparkour auf dem Sportplatz.
Auch ein bisschen Gesundheit stand auf dem Programm. Die Kinder wurden von einem Doktor inspiziert. Jedes Kind bekam während der Woche zweimal eine Massage, was nicht allen ganz so geheuer war, aber im Endeffekt doch gut ankam. Außerdem konnten wir einmal eine Aromatherapie mitmachen, was sehr entspannenden und beruhigend war.
[bild5] Gegen Ende des Sommerlagers kam eine Traurigkeit unter den Kindern auf und am letzten Abend bei Lagerfeuer und Stockbrot war die Stimmung gedrückt und keiner wollte so recht ins Bett. Immer wieder wurden wir von den Kindern gefragt warum wir denn zurück in das Internat müssten und ob wir nicht hier bleiben könnten. Bei der Ankunft in Novinki flossen viele Tränen. Wir deutsche Freiwillige mussten uns von den Kindern verabschieden, denn am darauffolgenden Tag würden wir aus Minsk abreisen. Es war für mich kaum auszuhalten die Kinder so unglücklich zurück zu lassen.
Für die Kinder war es etwas besonderes, dass nicht alle zusammen in einem Zimmer geschlafen haben, sondern jedes Kind mit seinem Betreuer auf engstem Raum zusammen wohnte. Lena fand gefallen daran meine Creme und Parfum auszuprobieren und beobachtete mich immer ganz genau, wie ich meine Haare kämmte oder mich umzog. Im Zusammenleben mit mir konnte Lena selber entscheiden was sie anziehen will, in der Dusche mit Wasser rumspielen und auch mitbekommen, wie wir „großen Mädchen“ miteinander redeten, stritten oder lachten.
Die Kinder sind auf ihrer gewohnten Umgebung rausgekommen und bekamen so viel Zuwendung und Aufmerksamkeit, wie sonst nicht und sammelten viele neue Bilder, Eindrücke und Gefühle. Man konnte beobachten, wie sie auftauten und zum Teil selbständiger wurden und im Laufe des Lagers immer fröhlicher und aufgeweckter wurden.
Für mich war das Organisieren und Teilnehmen an dem Sommerlager eine große Bereicherung und ich habe, auch durch das Stoßen an meine Grenzen, viel gelernt und viele warme und bewegende Erinnerungen mitgenommen.