Bericht von der Kinderfreizeit in Nadezhda, 15.-23.07.2015

Bericht von der Kinderfreizeit in Nadezhda, 15.-23.07.2015

Im Juli fand das alljährige und lang ersehnte Highlight des Jahres im Kinderheim von Nowinki statt: Nachdem einige der Kinder schon seit dem Winter ständig fragten, wann wir endlich aufs Lager fahren würden, war es wunderschön, anfang Juli dann endlich „bald“ sagen zu können. [bild1]
Der Juni gestaltete sich während einiger Momente noch ein wenig stressig. Die Freiwilligensuche erwies sich als schwieriger als erwartet, da einige der jungen BelarussInnen kurz vor knapp noch absprungen, weil ihnen die Herausforderung plötzlich als zu groß erschien. Dies hatte jedoch die positive Folge, dass wir noch ganz kurzfristig, einen Tag bevor es losgehen sollte, eine allen unbekannte junge Frau mit ins Boot holten, die eine wunderbare und zuverlässige Ergänzung zum bisherigen Team darstellte. Neben zwei Pädagoginnen aus dem Kinderheim waren wir sieben Freiwillige, was es uns erlaubte, zehn Kinder mitzunehmen, von denen neun eine Einzelbetreuung brauchten. Abgesehen von den durchmischten Nationalitäten und Altersunterschieden, gab es innerhalb der Freiwilligengruppe auch die unterschiedlichsten Vorerfahrungen: Von keinerlei über ein bisschen Erfahrungen mit Kindern bis hin zu sehr erfahren im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Durch die Schulung, die wir kurz vor dem Lager mit allen Beteiligten durchführten, entstand jedoch bereits ein angenehmes Gruppengefühl und auch ein schöner Rahmen, in dem jede/r sich schonmal im Windelnwechseln üben und verschiedene Fragen stellen konnte. Beim restlichen Organisieren und Vorbereiten wurde ich tatkräftig beim Basteln und Einkaufen unterstützt.

Am 15. Juli war es dann endlich soweit. Aufgeregt und voll beladen trafen wir uns morgens alle im Kinderheim. Wer für welches Kind verantwortlich sein sollte, hatten wir bereits im Voraus bestimmt, sodass die Aufregung und das freudige Geschreie nur noch größer wurden, als sich diese Pärchen nun, teilweise zum ersten Mal, begegneten. Nachdem schließlich auch das letzte Kind aufbruchbereit mit Sonnenhut und Strahlegesicht im bestellten Bus saß, machten wir uns also auf den Weg ins Sanatorium „Nadezhda“, etwa eine Stunde von Nowinki entfernt.
Die Stimmung war fabelhaft als wir dort ankamen und konnte auch erstmal nicht von dem Umstand getrübt werden, dass sich alsbald ein schwieriges Missverständnis zwischen mir und einer der Pädagoginnen herausstellte: Nach der ursprünglichen Ansage von Seiten des Sanatoriums, wir könnten aufgrund der Häuservertreilung nicht mehr als 3 Rollstühle mitbringen, hatte die Pädagogin alles daran gesetzt, doch mehr Rollstuhlfahrer mitnehmen zu dürfen. Ich hatte Sie schließlich so verstanden, sie hätte mit Nadezhda ausgehandelt, wir würden andere, barrierefreie Ferienhäuschen bekommen. Bei unserer Ankunft stellte sich jedoch heraus, dass dies nicht der Fall war. Was sie mit der Leitung ausgehandelt hatte, waren improvisierte Rampen aus langen Brettern, die auf die viel zu vielen Treppenstufen unseres Haupthauses gelegt wurden. Kurzzeitig war ich ein bisschen missmutig aufgrund dieses Zwischenfalls, waren es doch schließlich die Freiwillige, die nun mehrmals täglich die, mitunter recht schweren Kinder, die Rampen hoch und runter manövrieren mussten – eine ziemlich rückenunfreundliche Angelegenheit. Ich war umso erstaunter zu sehen, dass dieser Umstand jedoch keinen der Freiwilligen in Unmut versetzte: Hochmotiviert, den Kindern ein unvergessliches Ferienlager zu ermöglichen, waren alle bereit, diese zusätzliche körperliche Anstrengung auf sich zu nehmen und unterstützen sich zudem gegenseitig wo sie nur konnten.
Nachdem wir uns in unseren Häuschen eingerichtet und gegessen hatten und mit den Kindern Namensschilder für die verschiedenen Türen gebastelt hatten, machten wir uns auf den ersten Erkundungsspaziergang übers Gelände – es gibt in Nadezhda eine unglaubliche Auswahl an Schaukeln, Wippen, Seilbahnen und anderem Schnickschnack, von dem nicht nur die Kinder zehren konnten (besonders des nachts entdeckten auch wir Freiwilligen immer wieder das Kind in uns). In den kommenden Tagen pendelte sich dann nach und nach eine gewisse Routine ein, was das gemeinsame, stets ausgiebige Essen, sowie die verschiedenen Therapieeinheiten (tägliches Baden und Massieren) für die Kinder anging. Einen gemeinsamen Aufenthaltsraum hatten wir leider nicht, weshalb wir kurzerhand die überdachte Veranda hinter einem unserer Häuser zu einem solchen umfunktionierten. Dort gestalteten wir eine Art Kreativraum, in dem sich zwischen den Therapieeinheiten und anderen gemeinsamen Unternehmungen stets einige Leute zum Basteln, Malen, Singen oder Gitarre-/Ukulelespielen trafen. Nachdem wir am zweiten Abend, bis auf eine Ausnahme, zu platt zum Tanzen waren, begaben wir uns dann am dritten Abend zum ersten Mal mit der ganzen Bande in die Disco, wo wir bis zum Ende das Tanzbein schwungen und wo sich bereits die ersten neugierigen Annäherungsversuche mit anderen Kindern, die sich in Nadezhda aufhielten, ergaben.
Der vierte Tag erwartete uns mit schönstem Sommerwetter, sodass wir gleich nach dem Frühstück die lang ersehnte Planschbeckeneinweihung inklusiver Wasserbombenschlacht in Angriff nahmen. Ergänzt wurde dieser legendäre Wassertag dann am Nachmittag noch von einem Ausflug an und teilweise in den großen See, an dem wir fast die Nacht verbringen mussten, da es schlicht unmöglich war, einige der Kinder wieder an Land zu locken. Die nächste Herausforderung dieser Art wartete dann gleich am nächsten Tag, wo wir abermals einen Spaziergang zum See unternahmen, dieses Mal jedoch kein Wetterglück hatten, was natürlich die Hartgesottenen nicht von einem weiteren Bad abgehalten hätte. Die Tränen kullerten und konnten doch wieder besänftigt werden, nachdem wir spontan beschlossen, abends ein Lagerfeuer zu machen.
Am sechsten Tag regnete es zum ersten Mal so richtig. Unsere Kreativ-Veranda musste kurzerhand geschlossen werden und wir zogen uns in die Häuschen zurück, wo die meisten den Tag in der Küche mit Kneten, Singen und Süßigkeiten essen verbrachten. Abends trafen wir uns dann alle zusammen im großen Wohnzimmer in einem der Häuser, wo es Fußmassagen und eine mitreißend inszenierte Gutenachtgeschichte zu hören gab.
Am nächsten Tag war das Wetter schon wieder viel besser, weshalb wir uns schon mittags vorfreudig an die Arbeit machten, um unser großes Lagerfeuer am Abend vorzubereiten: Hefeteig machen und immer wieder nachsehen, ob er schon aufgegangen ist, im Wald Stöcke suchen und dabei ein paar Waldbeeren kosten. Bei Gitarrenmusik, Stockbrot und Würstchen verbrachten wir so einen wunderschönen, bereits vorletzten, Abend.
Am Tag vor der Abreise wurde die Stimmung beim Frühstück mitunter schon ein bisschen wehmütig, was jedoch nicht lange anhielt, da wir ein volles, aufregendes Programm vor uns hatten. Nach einem Vormittag in der Töpferwerkstatt und einem ausgiebigen Spaziergang, machten wir uns ans Vorbereiten für unseren nachmittäglichen Kaffeekranz: Wir hatten eine Gruppe von Schulkindern, die zeitgleich mit uns Ferien in Nadezhda machten, zum gemeinsamen Tortebacken und -essen auf unsere Veranda geladen. Überpünktlich traf der Besuch ein und wir verbrachten eine schöne, wenn auch etwas zu kurze Zeit miteinander. Die Kinder waren sehr offen und neugierig, die Torte war deliziös und die Wasserbombenschlacht am Ende ein feucht-fröhliches Ereignis. Abends begegneten wir unseren neuen Bekanntschaften dann in der Disco wieder, worüber sich alle sichtlich freuten.
Der Tag der Abreise war ein bisschen traurig, klar. Aber vor allem aufgrund der tatkräftigen und niemals müden Freiwilligen wurde bis zum Ende eine fröhliche Stimmung erhalten. Alle Kinder spielten auf der Wiese Ball, während ein paar Nachzügler noch die letzten Betten abzogen und Gläser spülten. Auf der Rückreise nahm unser Busfahrer spontan eine Babushka mit, die an der Straße stand und den Daumen in den Wind hielt. Sie staunte nicht schlecht, als sie unseren Bus betrat – ihr Gesichtsausdruck ließ sogar vermuten, sie sehe zum ersten Mal in ihrem Leben Menschen mit Behinderung. Ihre Reaktion war ein bisschen unangenehm, schließlich ließ sie sich jedoch auf ein Gespräch ein und schien dann ein Stück weit zu akzeptieren, dass auch diese Kinder normal seien. Es war dies ein etwas seltsamer Zwischenfall zu Ende unserer wunderschönen gemeinsamen Tage, und doch war es irgendwie sinnbildlich für den Weg hin zur Inklusion, auf dem sich viele Mitglieder der belarussischen Gesellschaft doch noch sehr am Anfang befinden.
Zuletzt möchte ich mich noch von ganzem Herzen bei unserer traumhaften Freiwilligengruppe, bei unseren beiden Pädagoginnen aus dem Internat, sowie bei Kanikuli e.V. für das Ermöglichen dieser Reise, bedanken. -Berit Hannappel