Ferienfreizeit für erwachsene Menschen mit Behinderungen, 20.-29.August 2004
Bericht von Marina Lysak (Minsk FW 2003-2004)
Wie in den vergangenen Jahren fanden auch dieses Jahr Sommerlager, also Ferienfreizeiten für behinderte Erwachsene und Kinder statt. Das Sommerlager für Erwachsene war diesmal allerdings ein offizielles Projekt der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF), was einige Vorteile hat, z.B. dass Verantwortlichkeitsfragen geklärt sind. Die Organisation und Leitung des Sommerlagers übernahm ich mit Simon, der dafür im Sommer noch mal nach Minsk gekommen ist.
Die Sommerlager-„Urlauber“ sollten ein gutes Dutzend Leute aus Nowinki und Drazhnja sein, jedoch lehnten die Internate unser Vorhaben strikt ab, zumal wir diesmal – im Gegensatz zu den früheren Sommerlagern mit Erwachsenen –viele Bewohner, die ständige Aufsicht brauchen und sechs Rollstuhlfahrer, die auf Hilfe angewiesen sind, mitnehmen wollten. Es gab lange Diskussionen mit den Verantwortlichen der Internate, bei denen unsere Argumente kaum Verständnis fanden, weil für die Internate ihre Bewohner nicht sehr hohen Wert als Menschen haben und demnach so ein Sommerlager als unnötig empfunden wird. Die etwas schwerer geistig Behinderten würden „sowieso nicht den Unterschied merken“ und überhaupt „ruhen sie sich doch schon den ganzen Tag aus, wozu wollt ihr sie dann noch in den Urlaub mitnehmen?“ Außerdem wird Freiwilligenarbeit gar nicht geschätzt.
Schließlich aber wurden nach endlosem Hin und Her Verträge zwischen ASF und den Internaten abgeschlossen, die eine Sicherheit für uns und die Internate darstellten. Der Direktor von Drazhnja unterschrieb nur mit Einwilligung des Komitees für Sozialschutz, das an höherer Stelle für die Internate verantwortlich ist.
Endlich war es soweit. Alle 15 Bewohner durften für 10 Tage ans „Minsker Meer“, ein Naherholungsgebiet mit Wald und Stauseen, fahren, wo sie zusammen mit den Betreuern in einem Holzhaus wohnen sollten. Die Betreuergruppe, das waren 11 Freiwillige, erfreulicherweise nicht nur Langzeitfreiwillige von SFDzV und ASF, sondern auch weißrussische Studentinnen und eine Deutsche, die eigens für das Sommerlager nach Minsk gekommen ist und ohne ein Wort russisch zu sprechen. Zusätzlich begleiteten uns zwei Ärztinnen aus den Internaten, die auf den gesundheitlichen Zustand der Betreuten aufpassten, sonst jedoch nicht in die Pflege und das Programm eingebunden waren.
Für das Programm hatten wir Freiwillige uns einiges ausgedacht, aber alles verlief etwas chaotisch, und vor allem die Pflege der Rollstuhlfahrer nahm soviel Zeit in Anspruch, dass wir lange nicht alles durchführen konnten, was wir uns erdacht hatten. Dennoch gab es einen einigermaßen regelmäßigen Tagesablauf und viele Aktivitäten.
Nach dem Frühstück versammelte sich die ganze Gruppe zum „Morgenkreis“, was nicht immer leicht zu bewerkstelligen war, und es wurde zusammen gesungen und etwas zum Tag gesagt. Danach teilten sich Betreute und Betreuer in eine Bastel- und Malgruppe sowie in eine Theater- und Musikgruppe, die einen malten, klebten, schnitten, kneteten und die anderen machten Sprach- und Singübungen, versuchten ein Gedicht und Lieder zu lernen.
Die Nachmittage füllten Mittagsruhe und anschließend ein Spaziergang oder sportliche Aktivitäten, in die auch die Rollstuhlfahrer miteinbezogen wurden, und die Abende wurden meistens individuell gestaltet – die einen wurden geduscht, während die anderen etwas anderes machten. Zweimal gab es ein Lagerfeuer mit Grillen am Spieß, einmal besuchten die Betreuten die Bar des Sanatoriums, wir veranstalteten Laptop-Kino und Veranda-Disco.
Zwar war das Sommerlager für die Freiwilligen sehr arbeitsaufwendig, manchmal bis zur Erschöpfung, doch es war auch sehr schön, und die Betreuten waren zufrieden und werden mit Sicherheit noch lange an dieses Ereignis denken. Lena, eine Rollstuhlfahrerin, sagte eines Abends zu mir „Marina, mir war noch nie so fröhlich zumute“.
Ich glaube, dass das Sommerlager auch für die 11 Freiwilligen eine besondere Erfahrung war. Sie sind ihren Betreuten näher gekommen und haben zum Teil erstmals Kontakt zu Behinderten gehabt. Die Zusammenarbeit unter den Freiwilligen war sehr gut, jeder hat sich nach seinen Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit eingebracht.
Für mich war dieses Sommerlager der intensive und erfahrungsreiche Abschluss meiner Arbeit. Ich war sehr glücklich, die Betreuten an diesem Ort zu sehen und ganze anderthalb Wochen so mit ihnen arbeiten zu können, wie ich es das ganze Jahr über nicht konnte – in einer menschlichen, freundschaftlichen Atmosphäre fern aller Einöde und Grausamkeit eines Internates.