Das Integrative Zeltlager Krugloe Osero (Runder See) hat sich von jeher auch an internationale Teilnehmer und Teilnehmerinnen gewandt. Und tatsächlich entfaltet das Projekt ausreichend Anziehungskraft um in jedem Jahr Gäste aus den verschiedensten Ländern Europas in den belarussischen Wald zu locken. Im letzten Jahr war ein solcher Gast Jens Tulin aus Schweden.
Krugloe Osero war bereits das zweite Sommerlager in Belarus, an dem er teilgenommen hat. Erfahren hat er vom Lager auf einer belarussischen Internetseite. Er berichtet, dass er vor seiner Anreise unsicher war, was ihn im Sommerlager erwarten würde. Bei der letzten Ferienfreizeit, an der er teilgenommen hatte, hatte ihm der rote Faden gefehlt. Es gab dort kein generelles Ziel, das erreicht werden sollte und entsprechend wenig Entwicklung auf Seiten der Teilnehmer war zu beobachten gewesen, berichtet er. Trotz dieser negativen Erfahrung entschied er sich, Belarus eine zweite und damit Krugloe Osero eine erste Chance zu geben.
Rückblickend ist er froh, diese Entscheidung getroffen zu haben, denn bereits nach zwei, drei Tagen ließen sich erste Fortschritte bei den Teilnehmern und Teilnehmerinnen beobachten. Viele von ihnen seien am Anfang eher verschlossen gewesen und hätten sich passiv verhalten. Dies hätte sich jedoch schnell geändert. Probleme wurden ausgiebig diskutiert und Aufgaben gemeinsam gelöst. Seiner Meinung nach haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich im Lager unheimlich schnell persönlich weiterentwickelt.
[bild3] Allerdings sieht er als Problem, dass für viele der Teilnehmenden außerhalb des Lagers wenig Möglichkeit besteht, weiterhin aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich so weiter zu verwirklichen. Seiner Meinung nach ist dies auch einer der wichtigsten Gründe, warum viele ehemalige Teilnehmer und Teilnehmerinnen gerne jedes Jahr wieder das Lager besuchen würden. Er kritisiert, dass der Unterschied, wie stark behinderte und nicht behinderte Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben in Belarus wesentlich größer ist als er es aus seinem Heimatland Schweden gewohnt ist.
[bild4] Ziel des Lagers ist es, die Integration zwischen nicht behinderten und behinderten Menschen zu fördern und tatsächlich hat es nie Probleme gegeben, eine Gruppe zusammenzustellen, die zu ungefähr ausgewogenen Teilen aus Menschen mit und ohne Behinderung bestand. Auch wenn dies selbstverständlich sein sollte überrascht es in einem Land wie Belarus doch. Ist doch das gesellschaftliche Bild von Menschen mit Behinderungen geprägt von Scheu und teilweise Ignoranz. Doch gerade weil sich das Lager „Krugloe Osero“ mit seinem in Belarus einzigartigen Programm an Menschen mit und ohne Behinderung richtet erfreut es sich bei beiden Gruppen gleicher Beliebtheit.
[bild6] Stepan Trofimovich ist einer der Teilnehmer, die keine Behinderung haben. 2012 war bereits das dritte Jahr, in dem er Krugloe Osero besuchte. Bereits 2010 und 2011 hatte er seinen Bruder ins Sommerlager begleitet, hatte jedoch jeweils nur an einige Tagen selbst teilgenommen. Diese hatten ihn jedoch derart vom Konzept des Lagers überzeugt, dass er sich entschloss 2012 am gesamten Programm teilzunehmen. Sein Hauptargument für Krugloe Osero ist die positive Grundstimmung und die Freundlichkeit im Umgang miteinander, wovon er nach eigener Aussage noch lange nach Ende des Lagers zehrt. Seiner Ansicht nach verausgabt man sich zwar physisch bei Rollenspielen, und sportlichen und künstlerischen Aktivitäten, aber seelisch erhole man sich. Außerdem sagt er, dass die Teilnahme an Krugloe Osero ihn verändert hat. Er hätte begonnen seine Ansichten zu hinterfragen und Dinge aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Die Problemlösungsstrategien, die er im Lager kennen gelernt hat, versucht er auch abseits des Lagers zu beherzigen um offener und kompromissbereiter an Konflikte heranzugehen.
[bild5] Auch auf einer ganz persönlichen Ebene hat er von Krugloe Osero profitiert. Das Lager hat ihm geholfen, seinen jüngeren Bruder, der im Rollstuhl sitzt mit anderen Augen zu sehen. Dass sein Bruder, sich selbständig entschieden hatte, am Lager teilzunehmen, den Mut aufgebracht hatte, sich auf etwas neues und unbekanntes einzulassen bewundert er sehr. Nicht zuletzt verdankt er es der Aufgeschlossenheit seines Bruders, dass er die Erfahrung der Lagerteilnahme machen konnte. Und wie tief ihn diese Erfahrung geprägt hat, zeigen die drei Worte, mit denen er auf Nachfrage das Lager beschreibt: Gedanken, Austausch und Menschen. Das wichtigste sei, erklärt er, dass durch die Atmosphäre im Lager und den intensiven Austausch mit anderen stark zum Nachdenken anregt und das hilft uns bessere Menschen zu werden, so Stepan.
Interviews: Ruslan Anan’ev
Übersetzung und Bearbeitung: Ruben Werchan
[bild7] Das Projekt wurde mit finanzieller Unterstützung von JugendHilft (Children for a better World e.V.) durchgeführt.