Soliaktion

Zum Mitmachen: Videos zur Solidarität mit protestierenden Menschen mit Behinderung in Belarus

Die Demonstrationen und Märsche der letzten Monate gehören in Minsk und vielen anderen Städten in Belarus mittlerweile zum Alltag im Stadtbild. Seit dem 15.10. gehen auch Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen und Unterstützer*innen auf die Straße. Unter dem Motto „Marsch der (Nicht-)Behinderten“ demonstrieren die Teilnehmenden seither für freie Wahlen und gegen die Gewalt, welche die Sicherheitskräfte gegen friedlich demonstrierende Menschen einsetzen. Wie momentan in Belarus üblich wird auch ihnen vom Lukashenka-Regime mit Gewalt und Festnahmen begegnet.

Wir von Kanikuli begrüßen die Initiative der (Nicht-)Behinderten, denn es ist nicht nur ein Statement gegen Gewalt, sondern auch ein Empowerment von Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen. Dieses Empowerment möchten wir gerne unterstützen und daher gemeinsam mit euch ein Solidaritätsvideo aufnehmen.

Das Ziel ist es möglichst viele diverse Videos zu haben. Wir werden diese dann zu einem gemeinsamen Film zusammen schneiden und diesen im Internet veröffentlichen. Wie genau du das Video gestalten willst ist dir relativ frei gestellt. Wichtig ist, dass durch Sprache (z.B. russisch, belarusisch, deutsch, english, Gebärdensprache), Plakate oder Symbole eine Solidaritätsbekundung mit Menschen mit Behinderung und anderen Protestierenden in Belarus stattfindet.

Was muss ich beachten?

  1. Horizontale Aufnahme
  2. Nicht länger als 30sek.
  3. Störgeräusche von außen möglichst vermeiden.
  4. Video anschließend über wetransfer.com oder ein anderes filesharing-Programm an lina.mueller@kanikuli-ev.de senden.
  5. Bitte sende dein Video bis zum 15.03.2021 an uns.
Frau hält Plakat neben Kind im Rollstuhl

»Es ist nicht furchtbar Mutter eines Sohnes im Rollstuhl zu sein. Es ist furchtbar, die Mutter eines Banditen mit Maske zu sein.« (Anm.: Die Sicherheitskräfte bei den Demonstrationen tragen Masken, die sie unkenntlich machen)

»Nötige Leute« unter Hausarrest

Für das inklusives Café-Projekt hat sich Kanikuli e. V. sehr über die kostenlose Rechtsberatung durch das belarusische „Büro für Rechte von Menschen mit Behinderungen“ gefreut. Aktuell wird das „Büro“ juristisch verfolgt und die beiden Kernpersonen wurden inhaftiert bzw unter Hausarrest gestellt. Wir möchten die durchweg positive Zusammenarbeit und ausgesprochen wichtige Rolle des „Büros“ in der Umsetzung der rechtlichen Ansprüche von Menschen mit Behinderungen in Belarus betonen.

Die Zeitschrift IMENA hat einen russischsprachigen Artikel dazu veröffentlicht. Im folgenden veröffentlichen wir eine leicht redigierte automatische Übersetzung von deepL.

Sergej Drosdowskij redet
Sergej Drosdowskij

»Nötige Leute«

Warum das Büro für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Belarus gebraucht wird.

Der Direktor und der Anwalt des Büros für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Sergej Drosdowskij und Oleg Grabljowskij wurden strafrechtlich verfolgt. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten werden Sergej und Oleg des Betrugs verdächtigt. Oleg wird im temporären Haftzentrum ‚Okrestina‘ festgehalten, während Sergej unter Hausarrest steht. Vor der Verhaftung brachten Oleg und Sergej zum Ausdruck, dass der Druck auf das Büro im Zusammenhang mit ihren Menschenrechtsaktivitäten stand. Jetzt ist die Arbeit des Amtes gelähmt, den Bedürftigen wird die Hilfe vorenthalten. Svetlana Kolontaj kann von den Mitarbeitern des Büros keinen Rechtsbeistand bekommen – das Sozialamt droht, ihr Kind ins Internat zu bringen. Denis Jurkow kann nicht ohne Oleg vor Gericht gehen – gemeinsam wollten sie Änderungen in der Gesetzgebung vornehmen und die Frage der Arbeitsrenten für Menschen mit Behinderungen vereinfachen. Das kleine Team des Büros hat viel Arbeit für Belarus geleistet. Wir sprachen mit den Mentees und Partnern der Organisation über die Hilfe, die das Büro für Menschen mit Behinderungen leistet und warum es so wichtig ist, dass diese Arbeit fortgesetzt wird.

Das Büro für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation, die ihre Arbeit im Jahr 2010 aufgenommen hat. Die Mission des Teams ist es, die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen zu verändern, Barrieren und Vorurteile abzubauen. Neben der Durchführung von Informationskampagnen und der Vorbereitung von Änderungen in der belarusischen Gesetzgebung bot das Büro Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen kostenlose Rechtshilfe an. Die Öffentliche Kammer bearbeitete mehr als tausend Einsprüche pro Jahr.

2016 ratifizierte Belarus die UN-Behindertenrechtskonvention. Das Büro für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat dabei eine wichtige Rolle gespielt.

Das Büro ist ein langjähriger Partner von IMENA. Unsere Kolleg*innen haben auf unsere Bitten, in schwierigen Situationen zu helfen, immer heldenhaft reagiert. Sie waren dabei, als die Behörden Sergej Barantschuk und Jelena Fjodorowitsch ihren Sohn wegnahmen, weil ihrer Meinung nach Menschen mit Behinderungen keine Eltern sein können. Sie berieten, wie die Rechtsfähigkeit wiederhergestellt werden kann, damit Menschen wie Jura Kusmin selbst entscheiden können, wo sie leben, mit wem sie kommunizieren und wo sie arbeiten. Das Team des Büros nahm am IMENA-Projekt Coronavirus: PSA für Sozialarbeiter und ältere Menschen teil: Sie halfen bei der Erstellung eines Fragebogens für soziale Einrichtungen und wählten Organisationen aus, die dringend PSA benötigten.

»Es ist nicht die Schuld eines Menschen mit einer Behinderung, dass er sich nicht in die von uns geschaffenen Rechtsverhältnisse einfügen kann. Er ist diese Art von Mensch – und damit muss man rechnen. Wenn wir Bedingungen schaffen, in die eine Person nicht hineinpassen kann, müssen wir erkennen, dass es unser Problem ist. Und es liegt in unserer Verantwortung, Einstiegspunkte für Menschen in das System zu schaffen.«

Sergej Drosdowskij, Direktor des Büros für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (aus einer Diktiergerätaufnahme eines Gesprächs mit einem IMENA-Journalisten am 28. Oktober 2020)

Swetlana Kolontaj, Mutter eines Sohnes mit einer Behinderung

– Ich erinnere mich noch daran, wie ich im Jahr 2016 ins Krankenhaus fuhr, um meinen Sohn Serafim zu besuchen. Meine Beine zitterten und meine Hände zitterten – sie wurden wie Watte. Ich ging und dachte: „Gott schenke dir das Leben, mein Sohn! Ein Fußballtor in der Schulturnhalle fiel auf Serafim – er war damals 10 Jahre alt. Beidseitige offene Schädelfraktur und 11 Tage auf der Intensivstation. Er wurde sofort auf dem linken Ohr taub. Und nun begann sein rechtes Ohr taub zu werden. Psychische Probleme, wird leicht müde und wenn ihm etwas nicht gelingt, wird er nervös und fängt an, Augenticks zu haben. Ständige Kopfschmerzen.

Ich bin nach dieser Situation an verschiedene Orte gegangen und habe alles gemacht – überall gab es Ablehnungen. Bis ich zum Büro ging. Ich habe 2016 an Oleg Walerjewitsch [Grabljowskij] geschrieben, dann bin ich mit den Dokumenten zu ihm gekommen, er hat sie sich angesehen und gesagt: „Ich habe alles verstanden“. Und seitdem und bis heute helfen er und Sergej Jewgenijewitsch [Drosdowskij] mir. Zuerst halfen sie mir, mein Kind als behindert anzumelden, dann halfen sie mir, bei Gericht einen Antrag auf Eröffnung eines Strafverfahrens zu stellen. Das Gericht hat den Fall zu den Akten gelegt. Dann sagte Oleg Walerjewitsch zu mir: „Lassen Sie uns versuchen, eine Entschädigung für die Behandlung des Kindes zu beantragen. Wir haben das Gericht gewonnen – die Schule musste uns 10 Tausend Rubel zahlen. 5.000 wurden bezahlt, 5.000 sind noch nicht bezahlt.

Meine Probleme waren damit noch nicht zu Ende. Kürzlich sagten die Vormundschaftsbehörden, dass sie Serafim in ein Internat bringen würden. Denn ich habe keine feste Unterkunft für das Kind – das Wohnheim, in dem wir waren, wurde geschlossen. Das Büro half mir wieder – und wir bekamen eine Sozialwohnung zugewiesen – eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Wir haben zwei behinderte Menschen in der Familie – Serafim und meinen Mann. Er wurde 2010 geschlagen und kann seither nicht mehr gehen, nur noch die Hände funktionieren.

Am 18. Februar habe ich eine Verhandlung: Sie werden entscheiden, ob mein Sohn bei mir bleiben darf. Das Büro half mir bei der Vorbereitung. Sergej Jewgenjewitsch beruhigte mich: „Alles wird gut, mach dir keine Sorgen, wir werden dir helfen“. Ich weiß nicht, was jetzt sein wird. Schließlich wissen Sie, wie es vorher war? Als ich einige Papiere bekam, schrieb ich sofort an Oleg Walerjewitsch – dies und jenes. Er hat es mir erzählt: „Bringen Sie es zu mir und wir werden das Problem lösen“. Keine Ablehnungen.

Enira Bronizkaja, Juristin, arbeitete in den ersten fünf Jahren nach der Gründung für das Büro

– Organisationen von Menschen mit Behinderungen hat es in Belarus schon immer gegeben. Aber sie wurden nach verschiedenen Arten von Behinderungen unterteilt. Alle waren durch die Belarusische Gesellschaft der Behinderten vereint. Aber es war immer noch das sowjetische Erbe. Dort gab es einen sozialmedizinischen Ansatz. Gleichzeitig betrachtete niemand die Menschen mit Behinderungen unter dem Gesichtspunkt ihrer Rechte. Sie waren immer ein Objekt der Hilfe und kein Subjekt, das Rechte hatte. Das Büro nahm eine andere Position ein – es beschäftigte sich mit den Rechten von Menschen mit Behinderungen.

Ich habe im Büro gearbeitet, als es anfing. Die ersten fünf Jahre waren wir sehr stark mit der Arbeit am Beitritt von Belarus zur UN-Behindertenrechtskonvention beschäftigt. Wir hatten die Kampagne „Unterschreibe mit deinem Herzen“. Wir haben gesagt, dass die Konvention alle betrifft, nicht nur Menschen mit Behinderungen. Eine große Anzahl von Organisationen hat sich der Kampagne angeschlossen. Denn es geht darum, dass Menschen mit Behinderungen Teil der Gesellschaft sind und es um jeden geht. Auch Unternehmen und verschiedene andere Strukturen schlossen sich der Kampagne an.

Vom ersten Jahr an funktionierte der öffentliche Empfangsraum. Nicht nur Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen haben sich damit auseinandergesetzt, sondern auch Organisationen und Strukturen, die ihre Mitarbeiter*innen mit Behinderungen in irgendeiner Weise schützen wollen. Wir haben Beratungen über eine barrierefreie Umgebung durchgeführt, haben gesagt, wie es gemacht werden kann.

Wir haben immer juristische Notizen gemacht und mit den Medien zusammengearbeitet – wir haben Informationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen veröffentlicht. Das Büro positionierte sich als Menschenrechtsorganisation. Wir haben mit verschiedenen Strukturen zusammengearbeitet. Wir haben zum Beispiel viel mit dem Ministerium für Arbeit und Sozialschutz zusammengearbeitet. Immerhin konzentrierte das Amt Expert*innenen mit Spezialwissen, und es gab viele Ideen, wie man das Leben von Menschen mit Behinderungen verbessern könnte.

Sergej Dikman, Koordinator für Projekte des Europarates

– Unsere Organisation hatte mehrere Projekte in Belarus. Es handelte sich nicht um Partnerschaftsprojekte mit dem Büro für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wir haben Sergej Drosdowskij persönlich als Experten hinzugezogen. Das letzte Projekt war letztes Jahr; es ging um die Strafjustiz in Belarus. Im weiteren Sinne ging es um Bildung im Bereich der Menschenrechte. Und Sergej war zu dieser Zeit Berater und Trainer. Er sprach über internationale Standards zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, darüber, wie die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen aussehen kann. Es war sehr wertvoll, dass er die internationale Praxis mit den Geschehnissen in Belarus in Verbindung bringen konnte. Sergej war immer sehr ausgewogen in seiner Einschätzung dessen, was die belarusischen Behörden taten. Das Office-Team kam im Dialog mit den Behörden immer mit konkreten Vorschlägen heraus – was verbessert werden sollte.

Aleksandr Awdewitsch, Gründer von „Inclusive Barista“, einem für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Coffee Shop

– Wir beschäftigen hauptsächlich Menschen mit Behinderungen. Wenn sich also rechtliche Fragen ergeben, die das Geschäft betreffen, oder wenn wir irgendwo eine barrierefreie Umgebung schaffen müssen, wenden wir uns natürlich sofort an das Amt für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wir kennen das Team des Office schon lange, wir sind Freunde. Wahrscheinlich seit 2013 oder 2014. Sie haben kürzlich unsere Baristas beraten, als sie für die Teilnahme an Kundgebungen mit einer Geldstrafe belegt wurden.

Wir haben nicht nur Mitarbeiter*innen, die Menschen mit Behinderungen sind, sondern auch einige unserer Besucher*innen. Und viele von ihnen haben selbst einige Fragen, die in unseren Cafés am häufigsten gestellt werden – und wie es ist, und irgendwie. Zum Beispiel, wie man die Frage mit der Rente, mit dem Taschengeld löst. Und das Office hilft bei diesem Vorhaben sehr. Denn es gibt ein Telefon – sie werden Ihnen alles sagen. Damit wir nicht etwas erfinden und nicht lügen, nicht unsere eigene Version erzählen. Es ist sehr cool, dass es eine einzige Nummer gibt, wo man anrufen kann. Dies ist der einzige Ort wie dieser, den ich den Leuten so empfehlen kann.

»Zunächst wurden die Menschenrechte an das Bild eines weißen jungen Mannes „angepasst“. Erst später mussten wir die Rechte immer wieder klären und zu einem Diskriminierungsverbot kommen, um die Rechte aller Menschen zu berücksichtigen. Wir befinden uns jetzt in der gleichen Phase der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Es gibt einen bestimmten „normalen“ Menschen, er schafft die Lebensbedingungen für sich selbst und verweigert anderen die Verantwortung. Dies ist nicht richtig.«

Sergej Drosdowskij, Direktor des Büros für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (aus einer Diktiergerätaufnahme eines Gesprächs mit einem IMENA-Journalisten am 28. Oktober 2020)

Denis Jurkov, Mensch mit Behinderung

– Im Jahr 2001 wurde ich am Gehirn operiert – dort befand sich eine Zyste. Nach der Operation fing ich an, Krampfanfälle zu bekommen. Im Jahr 2008 wurde meiner Mutter gesagt, dass es notwendig sei, eine Behinderung der Gruppe 3 zu beantragen. Wir haben es geschafft, und ich habe sofort einen Job bekommen. Ich erhielt ein Gehalt und eine Sozialrente wegen Arbeitsunfähigkeit. Schließlich dachte ich, wie viele Menschen, dass nur ältere Menschen Arbeitsrenten bekommen. Aber es stellte sich heraus, dass sie es nicht taten.

2019 habe ich zufällig eine Frau kennengelernt, die mir erklärt hat: Sie können eine Erwerbsminderungsrente bekommen, Sie sind behindert. Ich rief die Sozialversicherung an – sie sahen es sich an und sagten – es stimmt, Sie haben bereits 10 Jahre gearbeitet. Es stellte sich heraus, dass Menschen mit Behinderungen nicht nur die Sozialrente, sondern auch eine Arbeitsrente erhalten können (und diese ist größer), wenn mindestens eine Mindestdienstzeit vorliegt. Mir wurde gesagt, dass sie mich von einer Sozialrente in eine Beschäftigungsrente überführen können. Ich habe angefangen, 40 Rubel mehr zu bekommen.

Danach habe ich beschlossen, dass es ein Problem gab – es musste gelöst werden. Warum hat mich niemand gewarnt? Es wäre einfacher gewesen, zu schreiben: Sozialrente für Behinderte, Arbeitsrente für Behinderte. Ich habe ausgerechnet, dass ich 10 Jahre lang um etwa 1.000 Dollar unterbezahlt war.

Ich bin zu einem bezahlten Anwalt gegangen. Ich wollte die 1.000 Euro erstattet bekommen. Der Anwalt verwies mich an das Büro für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Sie sagten mir, wenn du bereit bist, werden wir mit dir arbeiten. Und wir haben angefangen. Oleg Grabljowskij half mir, Beschwerden und Berufungen an das Gericht zu verfassen. Am Ende haben wir das Geld nicht zurückbekommen. Aber wir hatten ein neues Ziel – wir wollten, dass Menschen mit Behinderungen über ihr Recht auf eine Beschäftigungsrente lernen. Oleg wollte vor das Verfassungsgericht ziehen. Aber dazu ist es noch nicht gekommen. Aber wir wurden auch so schon gehört – und es stellte sich heraus, dass die Leute anfingen, schriftliche Mitteilungen zu erhalten. Sie wurden zu einem Termin eingeladen, um von einer Sozialrente zu einer Beschäftigungsrente zu wechseln.

Mir ist jetzt klar, was für ein Glück ich hatte, in das Büro zu kommen. Als ich zu einem bezahlten Anwalt ging, dachte ich – naja, ja, das wird Geld kosten. Die Beratung, wurde mir gesagt, 50 Rubel. Später, als ich durch die Gerichte ging, dachte ich an all die Konsultationen mit Oleg Grabljowskij. Wenn ich das alles mit einem bezahlten Anwalt gemacht hätte, hätte ich am Ende mit einer hohen Rechnung dagestanden. Und schnell hätte ich wahrscheinlich meine Hände fallen lassen. Ich hätte gedacht, dass das alles nutzlos sei und das Geld nur vergeudet würde. Aber hier ist Oleg immer bei mir: Er geht zum Gericht, sitzt auf dem Flur, wir gehen gemeinsam in den Saal. Ich war die ganze Zeit besorgt, in einer Pause frage ich ihn – was soll ich sagen? Er würde mir alles erzählen. Generell würde ich nicht ganz alleine dorthin gehen.

Olga Dominikewitsch, Direktorin der sozial-karitativen Einrichtung „Es gibt etwas zu tun“

Unser Team besteht schon seit längerer Zeit in anderen Organisationen. Wir waren als Angestellte im NGO-Sektor tätig. Aber 2019 haben wir uns entschlossen, unsere eigene Einrichtung zu registrieren. Wenn ich einen Rat brauchte, wie ich die Organisation fördern sollte, welche Entscheidungen ich treffen sollte, war die erste Person, zu der ich lief, Sergej Drosdowskij. Als ich einen Rat in einem beruflichen Bereich brauchte, der mit Menschen mit Behinderungen und dem Schutz von Rechten zu tun hatte, wandte ich mich an Sergej. Und ich weiß, dass ich bei weitem nicht alleine bin.

Unsere Einrichtung hilft Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Wir haben uns bewusst entschieden, uns mit der Registrierung nicht einzuschränken, obwohl die engste Zielgruppe für uns Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sind, die in Waisenhäusern leben. Jetzt haben wir Erwachsene, die in psycho-neurologischen Wohnheimen leben, denn von April 2019 bis zum Beginn der Quarantäne im Jahr 2020 haben wir eineinhalb Jahre lang als Freiwillige in den Kinder- und Erwachsenenwohnheimen gearbeitet.

Als COVID zuschlug, war das Büro für die Rechte von Menschen mit Behinderungen das erste, das öffentlich Alarm über die Situation in den Heimen schlug. Sergei und ich haben es besprochen. Wir hatten große Angst vor einer Wiederholung der europäischen Geschichte, als Menschen in den Heimen während der Quarantäne starben. Gemeinsam mit dem Amt haben wir eine Initiative wie in Russland ins Leben gerufen. Dort beschlossen Freiwillige von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die schwersten Kinder für die Dauer der Epidemie aus den Heimen zu nehmen. Auf diese Weise gelang es ihnen, mehrere Dutzend Menschen zu retten, die sonst vielleicht gestorben wären.

Das Büro initiierte einen offenen Brief an das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz. Darin schlug es vor, zu diskutieren, wie NGOs während der Epidemie helfen könnten. Wir waren bereit, nach Freiwilligen zu suchen, die sowohl Kinder als auch ältere Menschen vorübergehend nach Hause bringen konnten. Sergei schlug vor, dass wir so oft wie möglich Leute aus den Heimen auf Heimaturlaub nehmen könnten. Aber die Vorschläge wurden nicht angenommen. Dann haben wir gemeinsam mit dem Amt beschlossen, eine Aktion zu starten, um Spenden für die Waisenhäuser zu sammeln. So konnten wir rund 50 Einrichtungen helfen. Es handelt sich um Waisenhäuser, einschließlich der allgemeinen Art von Heimen, in denen ältere Menschen untergebracht sind. Und, zum Beispiel, ein Aufnahmezentrum für minderjährige Kinder in Okrestina. Wir gaben ihnen Spenden und medizinische Geräte, die wir ergattern konnten.

Olga Smoljanko, Direktorin, Lawtrend Legal Information Centre

Unsere Organisation kooperierte mit dem Büro, wir arbeiteten gemeinsam an Appellen an internationale Organisationen, an gemeinsamen Erklärungen – an systemischen Veränderungen. Unsere Tätigkeitsbereiche decken sich – wir sind auch eine Menschenrechtsorganisation. Wir setzen uns für die Einhaltung der Menschenrechte in Belarus ein, einschließlich der Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Herr Drosdowskij ist ein Experte des Europarates und des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF). Und Oleg Grabljowskij arbeitete mit UNDP – dem UN-Entwicklungsprogramm. Wenn wir nicht über internationale Organisationen sprechen, weiß ich, dass Oleg eng mit der Krebspatientenorganisation „In the Name of Life“ zusammengearbeitet hat – er hat deren Patienten beraten. Es ist wichtig zu erwähnen, dass Belarus der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu einem großen Teil aufgrund der Bemühungen des Büros beigetreten ist. Nach dem Beitritt überwachte das Büro die Umsetzung der Konvention.

Wir verfolgen die Situation, die sich jetzt mit dem Büro ereignet. Belarusische Menschenrechtsorganisationen verbinden den Druck auf das Büro mit ihren Menschenrechtsaktivitäten. Insbesondere durch den Abschluss von Verträgen mit mehreren Rechtsanwält*innen, die Menschen mit Behinderungen helfen. Seit 10 Jahren führt das Büro systematisch Beratungen für Menschen mit Behinderungen durch, setzt sich für Änderungen in der Gesetzgebung in Bezug auf Menschen mit Behinderungen ein und führt Bildungsaktivitäten durch, um die Einstellung von Menschen mit Behinderungen zu ändern. Wir hoffen, dass die Schikanen des Büros ein Ende haben und sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können.

»Wir sollten alle hart arbeiten und die richtigen Leute an der richtigen Stelle denken lassen. Wir müssen die Frage der Rechte von Menschen mit Behinderungen ernster nehmen und dabei alle Umstände, das gesamte Wissen, das wir haben, und die Meinungen aller Fachleute im Lande berücksichtigen. Dies ist sehr wichtig.«

Sergej Drosdowskij, Direktor des Büros für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (aus einer Diktiergerätaufnahme eines Gesprächs mit einem IMENA-Journalisten am 28. Oktober 2020)

Die Kinderfreizeit in Nadezhda, 15.-23.07.2015

Im Juli fand das alljährige und lang ersehnte Highlight des Jahres im Kinderheim von Nowinki statt: Nachdem einige der Kinder schon seit dem Winter ständig fragten, wann wir endlich aufs Lager fahren würden, war es wunderschön, anfang Juli dann endlich „bald“ sagen zu können.

Wie die Ferienfreizeit verlaufen ist und was so alles passierte, können Sie im Bericht über die Kinderferienfreizeit 2015 lesen.

Kanikuli-Freiwilligenschulung in Minsk

Am 11. Juni fand die erste Freiwilligenschulung von Kanikuli in Minsk statt

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Um eine bessere Betreuung zu gewährleisten haben wir uns entschieden eine Schulung für unsere Freiwilligen anzubieten. Die Organisatorin Berit, aktuell ASFlerin in Minsk, sagt über dieses erste Kennenlernen: „Ich habe mich bereits gefreut zu sehen, wir offen und neugierig sich alle begegneten.“

In dem darauf folgenden Teil zur Behindertenarbeit lernten die Freiwilligen „wie wichtig es ist, seine eigenen Grenzen wahrzunehmen und auch dem eigenen Verstand sowie der Intuition zu trauen.“ Zum Abschluss durften die Teilnehmenden als praktische Übung der Organisatorin eine Windel anziehen.

Mit dieser Vorbereitung starten wir unsere Sommerfreizeit für Kinder vom 15. bis zum 23. Juli, sowie die Sonnenkur für schwer mehrfach behinderte Kinder im August.

Fotoausstellung „Art NuVo“ in Berlin

Fotoausstellung Art NuVo
Theater | Behinderung | Belarus

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Am Donnerstag 16. Juli, 20 Uhr wird im Club der polnischen Versager, Ackerstr. 168 in Berlin-Mitte, die Fotoausstellung ArtNuVo mit einer Vernissage eröffnet. Veranstalter der Ausstellung ist Kanikuli e.V., ein Verein, der sich für die Förderung und Integration von Menschen mit Behinderung in Belarus (Weißrussland) einsetzt.

Flyer zum runterladen und verbreiten

Die Fotoausstellung besteht aus einer zweiteiligen Dokumentation eines Theaterprojektes durch den belarussischen Fotografen Ivan Besser. Die Fotos entstanden im Zuge einer durch Kanikuli e.V. ermöglichten Freizeit für Menschen mit Behinderung in Belarus. Das Theaterprojekt wurde pädagogisch begleitet und in Minsk zur Aufführung gebracht. Dabei zeigt die Ausstellung sowohl den Entstehungsprozess des Projektes als auch Porträts einzelner Schauspieler.

„Wir wollen auf die kritische Situation von Menschen mit Behinderung in Belarus auch in Deutschland hinweisen. Es gibt auf der einen Seite großen Handlungsbedarf, andererseits gibt es zahlreiche Beispiele, die hoffen lassen. Und dazu gehört ganz sicherlich auch das durch uns realisierte Theaterprojekt,“ so Ruben Werchan, Vorsitzender des Vereins Kanikuli.

Die Ausstellung ist ab dem 16. Juli bis zum 31. Juli im Club der polnischen Versager geöffnet und jeden Tag ab 18 Uhr für Publikum kostenfrei zugänglich.

Links
www.polnischeversager.de
ivanbesser.livejournal.com
citydog.by/post/obitateli-novinok (russ. Interview mit dem Fotografen)

Mitgliederversammlung in Berlin, 02.05.2015


Kanikuli in Berlin
– Ein Bericht –

Für elf Kanikulaner war das durch den 1. Mai verlängerte Wochenende ein willkommener Anlass sich in Berlin zu versammeln. Unter den hohen Decken und auf dem Dach des Wohnprojekts „Oase“ im Wedding empfing uns Hans zur Sitzung. In Abwesenheit des ersten Vorstands wurden am Samstag und Sonntag Entwicklungen der letzten sechs Monate beleuchtet, neue Ideen gesponnen, eine Ausstellung konzipiert und ein Kanikuli-Banner gepinselt.
Der Samstag begann nach dem Frühstück um halb 11 mit der Aufnahme des 60. Mitglieds und einem Kassensturz, welcher leider eine Rückgang der Spenden um 4000€ zutage förderte. Erfreulicher waren die Rückblicke auf die Entwicklungen der Selbsthilfegruppe junger Mütter mit Behinderungen aus Witebsk sowie die jährliche Winterfreizeit. Gerade aus Minsk zurückgekehrt, berichtete Lina von aktuellen Verschlechterungen im Kinderheim, der Zusammenarbeit mit Nadezhda, sowie weiteren strukturellen Veränderungen. Diese Nachrichten konnten während der Mittagspause auf der Dachterasse sacken, bevor es zurück in den Seminarraum ging. In der zweiten Runde stellten verschiedene Mitglieder optimistische Pläne vor, um den aufgeworfenen Fragen zu begegnen. Zu einer beständigeren und qualitativeren Freiwilligenarbeit soll die während des letzten halben Jahres entwickelte Freiwilligenschulung führen. Zudem führt Kanikuli Anfang Juni auf dem Kirchentag erstmals ein größeres Fundraisingprojekt durch, das hoffentlich Geld für die neue Freizeit „Sonnenkur“ in die Kassen spült. Erst nach fünf Stunden Diskussion wurde mit Hannover der Ort der nächsten Mitgliederversammlung festgelegt und ein Abschiedsfoto auf dem Dach geschossen.
Wie zuvor abgesprochen widerstand die Gruppe den Berliner Verlockungen und blieb in Hansens Heim zum gemeinsamen Kochen um die Tafel der Wohnküche versammelt. Erst in den späten Nachtstunden kletterten die letzten Nachtwandler zu den dröhnenden Bässen der Nachbarn in die Hochbetten.
Der nächste Morgen weckte uns mit der unangenehmen Erkenntnis, dass die Themen Fundraising und Homepage noch nicht ausreichend behandelt wurden. Nach weiteren sechzig Minuten Diskussion konnten wir uns endlich dem kreativen Teil widmen. Die Wohnküche wurde mit den raumgreifenden Portraits der Schausteller unseres Theaterprojekts verkleidet. Unter harten und sanften Blicken entwarf der Hausherr mit professioneller Fotografenunterstützung die Ausstellung für den Kirchentag und den Klub der Polnischen Versager. Derweil pinselte eine Koalition aus ehemaligem und aktuellem Vorstand im Hof ein Kanikuli-Banner, stolz geschmückt mit dem neuen Logo. Erfreulicherweise bewies uns Johanna mit dem Design des Kanikuli-Shirts zudem, dass mensch nicht in Minsk gelebt haben muss, um sich bei Kanikuli zu engagieren.
Einen Ausklang der Versammlung fanden wir bei sommerlichen Temparaturen auf einer nahegelegenen Liegewiese an der Panke.

Bericht über Seminar der Gewöhnlichen Eltern

Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer von Kanikuli,

für die Unterstützung einer Selbsthilfegruppe junger Eltern mit Behinderungen aus Vitebsk organisierte Verschiedene-Gleiche ein fünftägiges Seminar. Dort war auch Kanikuli vertreten. Den Bericht mit Fotos findet ihr hier.

P.S: Morgen ist unsere Mitgliederversammlung in Wachenbuchen bei Frankfurt. Schreibt uns eine Mail an info@kanikuli-ev.de oder auf http://www.facebook.com/Kanikuli.ev wenn ihr Anregungen oder Fragen habt!

Ausstellung in Maintal

Liebe Kanikuli- und Theaterfans,

die Ausstellung über die Theatergruppe „Art HyBo“ (Art Nouveau) des Erwachsenenheims in Novinki wird ab Sonntag im Bürgerhaus Bischofsheim, Dörnigheimer Weg 21 in Maintal-Bischofsheim zu sehen sein. Das Ganze findet im Rahmen des Bühnenstürmer Festivals staat. Es gibt eine Führung am Sonntag, den 28.09.2014 um 19:30 Uhr, sowie am Montag, den 29.09.2014 um 15:30 Uhr.
Hier noch der Veranstaltungstext.

Es grüßt Euer Kanikuli

Freizeit vom 5.-20. Oktober bei Minsk

Vom 5.-20. Oktober finden in einem neuen Zentrum bei Minsk mehrtägige Seminare für Bewohner und Bewohnerinnen eines Heims für Erwachsene mit Behinderungen statt. Es werden vier jeweils viertägige Seminare zu verschiedenen Themen wie Theater, Fotos, Filme und Stoffarbeiten stattfinden. Die Veranstalterin Dascha freut sich über die Teilnahme von mehreren deutschen Kanikuli-Mitgliedern. Wer ebenfalls Interesse an einer Teilnahme an einem oder mehreren der viertägigen Seminare hat, kann sich bei arkadi@kanikuli-ev.de melden.

Bericht der neuen Freizeit

In diesem Jahr ist es uns gelungen, neben den alljährlichen Projekten, noch eine weitere Ferienfreizeit für sieben Kinder und Jugendliche mit im Rollstuhl auszurichten. Mit der Unterstützung deutscher und belarussischer Freiwilliger, einer Pädagogin des Heimes und einer Physiotherapeutin, die die Freizeit begleiteten, boten wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Eins-zu-Eins Betreuung, vielfältige Therapieangebote und unvergessliche Augenblicke.

Auf der einen Seite bestehen Umstrukturierungspläne für das Heim, die eine stärkere Ausrichtung auf schwerbehinderte Kinder vorsehen. Derweil finden seit ein paar Jahren aus belarussischer Initiative heraus Freizeiten für Kinder mit leichteren Behinderungen statt. Unser neues Freizeitenkonzept mit mehr Therapieangebot und intensiver Betreuung von schwer behinderten Kindern schließt eine Lücke, die perspektivisch noch wachsen wird. Den ausführlichen Bericht und Fotos von diesem Pilotprojekt gibt es hier.